Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
nötig – ich hab sie gerade gegoogelt.«
»Wieso überrascht mich das nicht? Dann mach mal deine Recherchen, übertreib’s aber nicht. Und den Wecker nicht vergessen!«
»Werd ich nicht.«
Die nächsten zwanzig Minuten brachte ich so viel über Flor Prentice Y Diaz in Erfahrung wie möglich: Eltern Flüchtlinge aus Guatemala, aufgewachsen in der Bay Area, Masterabschluss in Politik an der Stanford University, ehemalige Geschäftsführerin eines Obdachlosenverbands. Ein Foto zeigte eine gut aussehende, aber streng wirkende Hispanoamerikanerin um die fünfzig, tiefe Linien um den Mund und Fältchen um die großen, dunklen Augen, die mich direkt anzusehen schienen. Dann bemerkte ich, woher das Foto stammte: Aus einem Porträt im Bay Guardian von Barbara Stratford. Ich warf wieder einen Blick auf die Uhr: Es ging auf Mitternacht zu, wahrscheinlich schon zu spät, um Barbara noch anzurufen. Also schrieb ich ihr eine Mail mit der Bitte, Flor Prentice Y Diaz gegenüber meinen Namen zu erwähnen, falls sich die Gelegenheit ergab. E-M ails hatten eben doch ihren Nutzen.
Dann schaute ich nach meinem Download. Der File war halb heruntergeladen, und es waren noch acht weitere Downloader im Schwarm. Ich fragte mich, wie viele davon in D.C. saßen und für einen Nachrichtendienst mit drei Buchstaben arbeiteten.
Es klopfte leise an der Tür. Ich machte auf. Es war Mom.
»Hey«, sagte sie. »Wie lange bist du schon auf?«
»Schon eine Weile. Tut mir leid, dass ich nicht runtergekommen bin, aber ich habe eine E-M ail von Joseph Noss gekriegt, dass ich ihn anrufen soll, und das hab ich gemacht, und dank ihm hab ich jetzt ein Vorstellungsgespräch bei seiner Wahlkampfleiterin, morgen früh um halb neun. Ich glaube, ich habe einen Job!«
Mom fuhr mir lächelnd durchs Haar, wie sie es früher immer gemacht hatte, als ich noch klein war. Das war einer ihrer Tells , wie man das beim Pokerspiel nennt. Es verriet mir, dass sie sehr stolz auf mich war. Ich war total glücklich.
»Das ist ja großartig. Aber wie geht’s dir?« Vorsichtig griff sie nach dem dicken Pflaster auf meiner Nase. Ich zuckte zusammen – die Schmerzmittel wirkten nicht mehr.
»Na ja, meine Nase ist immer noch gebrochen, aber die Kopfschmerzen sind weg. Davon abgesehen geht’s mir gut. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Und es hätte viel schlimmer kommen können. Eigentlich bin ich nur gestolpert und aufs Gesicht gefallen.« Ich schüttelte den Kopf. »Viele Leute haben nicht so viel Glück gehabt. Manche wurden von der Explosion voll erwischt.«
Sie zog die Hand weg. »Ich wünschte, du hättest dich gemeldet. Wir … weißt du, wir haben uns Sorgen gemacht.« Sie erwähnte nicht, wie oft ich früher schon von der Bildfläche verschwunden war: nach der Explosion der Bay Bridge zum Beispiel, als Carrie Johnstone und ihre fröhliche Crew mich auf Treasure Island festgehalten und mich im Namen des Heimatschutzes gedemütigt hatten. Oder als ich mit Zeb weggerannt und abgetaucht war, nur um abermals von Johnstone geschnappt zu werden, diesmal für eine Runde simuliertes Ertrinken. Keines dieser Erlebnisse war sehr erfreulich gewesen, weder für mich noch für meine Eltern. Ich war tatsächlich ein Idiot.
»Es tut mir wirklich leid. Bis wir wieder ein Handynetz hatten, hab ich schon tief und fest geschlafen. Du hast aber recht, ich hätte anrufen sollen.«
Eine Weile saßen wir nur schweigend da und dachten an die schlimmen Zeiten zurück, die wir durchgemacht hatten. »Wie läuft’s denn bei dir mit der Jobsuche?«, fragte ich dann.
»Ach, mach dir keine Gedanken. Es kommt immer wieder ein bisschen was rein – nichts Weltbewegendes, nur ein paar Lektoratsjobs. Aber mit den Ersparnissen und Dads Abfindung kommt das schon hin.«
Ich fragte sie nicht, was sie vorhatten, wenn Dads Abfindung verbraucht war. Ich hatte genug aufgeschnappt, um zu wissen, dass das ein heikles Thema war. Und da die Unterhaltung immer abbrach, wenn ich dazukam, wollten sie wohl nicht, dass ich mir Sorgen machte. Letzten Monat hatte Dad sein Auto verkauft und den Parkplatz bei Craigslist eingestellt, was ich für eine clevere Idee hielt, auch wenn es komisch sein würde, einen Fremden in unserer Einfahrt parken zu haben. Aber natürlich war mir auch klar, was das bedeutete: erst der Job, dann das Auto, und dann … was? Mom hatte schon ihre Blumenbeete umgegraben, um Gemüse hinterm Haus anzubauen, und ich wusste, dass es dabei weniger um den Geschmack als um die
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