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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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Lebenshaltungskosten ging. Die Schublade mit den ganzen Werbezetteln für Essen zum Mitnehmen war schon lange nicht mehr geöffnet worden, und Mom und Dad hatten sich angewöhnt, den Bus zu nehmen und die Tiefkühltruhe aufzustocken, wann immer Safeway Fleisch im Sonderangebot hatte. Es machte mir nichts aus, etwas sparsamer zu leben, aber ich fragte mich schon, wohin das alles noch führen würde. Viele Häuser in unserer Nachbarschaft standen schon zum Verkauf, und ein paar sollten demnächst zwangsversteigert werden.
    »Also dann«, sagte ich. »Ich muss morgen früh raus!«
    »Magst du einen Anzug tragen?«, fragte Mom. »Ich könnte dir was von deinem Vater leihen.«
    » Mom, sie suchen einen Webmaster – ich bin mir ziemlich sicher, dass sie keinen Streber im Anzug wollen.«
    Sie sah aus, als wollte sie etwas erwidern, verkniff es sich aber. »Du weißt sicher, wovon du redest«, meinte sie dann. »Schau einfach, dass du nach was aussiehst, okay? Einen Chaoten will niemand einstellen, auch nicht als Webmaster.«
    »Gute Nacht, Mom.«
    »Hab dich lieb, Marcus.«
    »Ich hab dich auch lieb.«
    Gut, dass ich mich gleich dreifach abgesichert hatte: Sowohl mein Handy als auch meinen Wecker schaffte ich abzuschalten, ohne es überhaupt mitzukriegen. Aber das Geschrei, das dann aus Schleichers Boxen tönte – Trudy Doo and the Speedwhores mit »Break it off«, das wohl fieseste Post-Punk Mädchen-Powertrio-Geprügel, das es je auf MP 3 geschafft hatte – , war unmöglich zu ignorieren. Es war 7:15 Uhr.
    Ich duschte, dann zog ich mir vorsichtig das Pflaster von der Nase und schnitt eine Grimasse. Mein Gesicht sah wirklich schlimm aus, aber da ließ sich nichts machen. Ich dachte an den Rat meiner Mutter und wühlte mich durch meinen Schrank, bis ich ein weißes Hemd und eine graue Hose fand, die ich zuletzt zur Schulabschlussfeier getragen hatte. Ich fand sogar die braunen Lederschuhe dazu und polierte sie energisch mit einem alten Socken, bis sie wieder etwas glänzten. Wie ich mir das Hemd so zuknöpfte und die Hose zurechtzog, stellte ich fest, dass Mom mal wieder recht gehabt hatte: Mich so anzuziehen gab mir Selbstvertrauen. Genau so jemanden wie mich wollten die Leute doch einstellen.
    Dad saß schon beim Frühstück und hatte Haferflocken, Bananen und Erdbeeren für uns auf den Tisch gestellt.
    »Mann! Du siehst ja echt schick aus, mein Sohn.« Ich sah, dass er sich rasiert hatte und seine Sportsachen trug.
    »Du gehst ins Fitnessstudio?«
    »Joggen«, erwiderte er. »Haben gerade damit angefangen. Ins Studio gehen wir nicht mehr.« Im Klartext: Wir können es uns nicht mehr leisten.
    »Das ist ja toll«, sagte ich.
    »Tja«, meinte er, und da bereute ich, etwas gesagt zu haben, denn er wirkte beschämt, und so kannte ich ihn gar nicht. »Deine Mutter hat mir von deinem wichtigen Termin erzählt. Hier, iss was.«
    Dad hatte mir kein Frühstück mehr gemacht, seit ich mit dreizehn erklärt hatte, ich sei jetzt zu alt dafür. Ab da hatte ich mir einfach immer eine Scheibe Toast auf den Weg mitgenommen. Er musste heute absichtlich so früh aufgestanden sein, damit ich nicht mit leerem Magen zum Vorstellungsgespräch ging. Ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, doch etwas hielt mich zurück. Wenn ich jetzt eine große Sache daraus machte, hätte das wahrscheinlich die Illusion zerstört, dass doch alles normal war.
    Seit meiner Schulzeit war ich nicht mehr so früh im Mission-Viertel unterwegs gewesen. Ich machte bei meinem türkischen Coffee Shop Station, um mich mit einem starken Mokka auf Vordermann zu bringen, plauderte kurz mit dem Inhaber, erzählte ihm dabei von dem bevorstehenden Vorstellungsgespräch und hörte mir sein Geschimpfe an. Es hatte immer viele Obdachlose in der Gegend gegeben, aber irgendwie kam es mir schlimmer vor als früher. Zumindest hatte ich noch nie so viele Leute auf dem Bürgersteig und in den Eingängen aufgegebener Geschäfte schlafen sehen. Und es hatte früher auch nicht so schlimm nach Pisse gestunken.
    Joseph Noss’ Wahlkampfbüro befand sich in einem großen Gebäude an der Ecke zur 23sten Straße, das seit ich denken kann ein Möbelgeschäft gewesen war. Letztes Jahr hatte es schließen müssen und seitdem leer gestanden.
    Die großen Fenster waren voller Plakate, auf denen NOSS IN DEN SENAT stand, weder im typischen Demokraten-Blau noch im Republikaner-Rot, sondern braun und orange. Ich warf einen Blick auf mein Handy: 8:20 Uhr, also war ich etwas zu früh dran.

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