Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Programm startet – , greift er auf die virtuelle Festplatte und das virtuelle Betriebssystem zu und gibt alle Anweisungen, die er dort findet, an den echten Computer weiter, auf demer läuft.
Der hauptsächliche Verwendungszweck solcher VM s war lange Zeit die Emulation älterer Systeme auf neueren gewesen – vor allem, um Vintage-Spiele darauf zu zocken. Zum Beispiel gibt es eine riesige VM namens M.A.M.E., den Multiple Arcade Machine Emulator, auf dem so ziemlich jedes alte Spiel läuft, das man kennt.
Die Betonung liegt hierbei wirklich auf »alt«. Das liegt daran, dass so ein virtueller Computer innerhalb eines echten sehr langsam läuft. Aber Computer werden immer schneller – etwa alle achtzehn Monate um das Doppelte. Das nennt sich das Moor e’ sche Gesetz, nach Gordon Moore, der Intel mitbegründete. Ein brandneuer Computer wird also sechzehnmal schneller sein als einer, den man vor sechs Jahren für das gleiche Geld bekam. Solange man sich daher auf das Emulieren alter Geräte beschränkt, wird man die Verzögerung nicht mal mitkriegen.
In letzter Zeit aber sind VM s dank speziell dafür entwickelter Chips sehr viel effizienter geworden, und der Abstand zum echten Computer ist weiter geschrumpft. Damit ist es auch einfacher denn je, neue Programme und Betriebssysteme auszuprobieren. Wenn man paranoid ist, kann man prinzipiell alles erst mal auf einem freien Betriebssystem in einer VM laufen lassen. Nichts, was innerhalb dieser Sandbox geschieht, kann echten Schaden auf dem Gerät anrichten – nicht, solange man der VM nicht gestattet, auf die echte Festplatte und ihre Dateien zuzugreifen. Die VM ist wie ein Gehirn in einem Tank: Man kann ihr über die Welt da draußen erzählen, was man will: Ihr bleibt nichts anderes übrig, als einem zu glauben.
Man kann sich Hunderte, Tausende VM s für alle Lebenslagen aus dem Netz ziehen und für beliebige Zwecke einsetzen. Man will seinen alten Rechner gelegentlich als Router oder Fileserver einsetzen? Irgendwo gibt es die maßgeschneiderte VM dafür. Die Reviews der anderen User helfen einem bei der Auswahl, und da alles auf offenem, freien Code wie Linux basiert, kann auch jeder die Software verändern, verbessern und weiterverteilen.
Ich ging auf die Suche nach einer extra sicheren VM und wurde fündig. Sie baute auf ParanoidLinux auf, meiner Lieblingsdistribution, verzichtete aber auf alle Programme und Dienste, die man nicht unbedingt brauchte, wodurch sie noch bombensicherer wurde. Die Userprofile und ihre Daten wurden zudem mittels TrueCrypt versteckt, sodass man selbst bei einer forensischen Untersuchung der Platte nicht an sie herankam.
Das war schon mal nicht schlecht. Ich wollte aber noch eine Art Totmannschalter: eine Rückversicherung, die in Kraft trat, wenn ich nicht alle Viertelstunde etwas Bestimmtes tat. Also schrieb ich ein kleines Skript, das mich im Fünfzehnminutentakt nach einem Passwort fragte. Wenn ich es nicht eingab, würde das Skript den Befehl ans System weiterleiten, alle laufenden VM s sofort zu stoppen und sich selbst danach löschen. Wenn man mich also wirklich schnappte, würden die Daten und alles, was ich gerade getan hatte, einfach spurlos verschwinden – sofern man das Passwort nicht gerade binnen fünfzehn Minuten aus mir herausfolterte.
Selbst wenn Mashas File und der Schlüssel dazu in die falschen Hände fielen, wäre so nicht mehr nachvollziehbar, wem ich was gezeigt oder mit wem ich darüber geredet hatte. Ich durfte von nun an bloß nicht mehr aufs Klo oder zum Essen gehen und dabei die Passworteingabe vergessen – sonst würde alles, was ich seit dem letzten Speichern gemacht hatte, verloren gehen.
Es gibt sogar einen technischen Ausdruck für diese Art von Zeitvertreib: Yakshaving , Yaks rasieren – seine Zeit mit scheinbar nützlichem Blödsinn verplempern, um sich nicht um die wirklichen Probleme kümmern zu müssen. (Der Yak ist eine Rinderart mit ziemlich langen Haaren.) Es gab da einen schönen Ausspruch von Dhanji Prasanna, einem Hacker, der eine Zeitlang bei Google gearbeitet hatte: »Irgendwann hat man das ganze Yakgehege im heimischen Zoo rasiert und macht sich auf den Weg nach Tibet, um sich fremden Yaks zu widmen, die man nie zuvor gesehen hat und deren Haartracht einem unbekannt ist.«
Ich war gerade auf dem besten Weg nach Tibet. Es wurde Zeit, den File zu entschlüsseln.
Es war schon eine Weile her, seit ich zuletzt einen verschlüsselten Zip-File mit einem langen Passwort entschlüsselt
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