Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
budget_8B5S.xls. Sie stellte sich als eine Tabelle mit Einnahmen und Ausgaben heraus. Zur Linken standen Namen von Personen. Die Spalten daneben enthielten Firmen mit völlig nichtssagenden Namen wie »Holdings Import/Export«, »Property Management Ltd.«, und die Zellen waren mit Dollarbeträgen gefüllt. Keiner der Beträge war sonderlich groß: 1001 Dollar, 5100 Dollar, der größte war 7111 Dollar.
»Ziemlich viele Einsen«, meinte ich.
Ange nickte. »Ja, ist schon komisch.« Sie studierte sie noch eine Weile und griff dann nach ihrem eigenen Laptop. »Du benutzt noch IP redator?«
»Prinzipiell. Du kannst dich aber gerne zusätzlich mit Tor verbinden.« Tor – The Onion Router – leitete jede Browseranfrage über mehrere zufällig gewählte Computer, von denen keiner wusste, woher die Anfrage ursprünglich kam und wohin sie eigentlich ging. Das Netzwerk war langsam – noch langsamer als IP redator, was schon langsamer war als normal. Aber wenn es Grund für Paranoia gab, dann jetzt.
Ich grübelte über die mysteriöse Tabelle nach. Mein Totmannschalter verlangte nach seinem Passwort, und ich gab es ein.
»Ich hab’s – wusste ich’s doch, ich hab davon gelesen. Die Eins taucht im Finanzwesen deutlich häufiger auf als andere Zahlen.«
»Und wieso?«
Sie zeigte mir die Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Papers von einer Konferenz zum Thema Sicherheit. »Weil es einfach mehr Sachen gibt, die zwischen 10 und 19 Dollar oder zwischen 100 und 199 Dollar kosten, als über 20 oder über 200 Dollar. Ist Verkaufspsychologie: Die Leute kaufen eher was, wenn’s neun Dollar statt zehn kostet; gefühlt ist das eine wichtige Schwelle. Genauso wirken 99Dollar nicht so schlimm wie 100, und 999 nicht so schlimm wie 1000. Das ergibt eine Menge Zahlen mit Einsen. Wenn Leute Zahlen aber frei erfinden, weil sie ihre Bücher oder die Steuer fälschen, hat man eine sehr viel gleichmäßigere Ziffernverteilung. Auf die Art sucht zum Beispiel die Steuerbehörde nach Betrügern. Mir ist das mal in einem Buch über Onlinejournalismus begegnet. Ich wollte es auch unserer Dozentin schmackhaft machen, aber sie meinte, die Prüfungen wären jetzt wichtiger. Auf alle Fälle sind diese ganzen Einsen von jemandem eingefügt worden, der das weiß und dafür sorgen will, dass die statistische Verteilung richtig aussieht. Jemand, der nicht davon ausgeht, dass sich je ein Mensch seine Zahlen näher anschaut, der sich aber Sorgen macht, dass einem Computer was auffallen könnte.«
Mit Blick auf die Tabelle begann sie wieder zu tippen, doch der Totmannschalter kam uns dazwischen, und ich reagierte nicht schnell genug. Die VM verschwand.
»Das nervt«, stellte sie fest.
»Ich sag dir das Passwort.«
»Du könntest auch einfach den Timer auf dreißig Minuten stellen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich denke, dass ich das Passwort eine Viertelstunde für mich behalten könnte, wenn mir jemand die Tür eintritt und dieser Jemand nicht mit so was rechnet. Nach einer halben Stunde dagegen … «
»Oh«, sagte sie nur.
»Da ist auch eine PowerPoint-Präsentation darüber, wie man Waterboarding macht. Inklusive Balkendiagramme, die zeigen, wann es zu Hirnschäden kommt, je nach Alter und Gesundheitszustand.«
»Oh«, sagte sie wieder. Sie wusste, dass an schlechten Tagen selbst eine Dusche Panik bei mir auslösen konnte. Das Trauma einer Hinrichtung macht so was mit einem.
Ich startete wieder die VM und öffnete die Tabelle erneut. Ange begann die Namen zu überprüfen.
»Das sind alles Mitarbeiter eines Abgeordneten aus Illinois namens Bedfellow. Theoretisch könnten wir jetzt schauen, in was für Ausschüssen er sitzt und wie er in der Vergangenheit abgestimmt hat. Das wäre eine gute Anfängerübung für journalistische Onlinerecherche, wenn so was in meinem Lehrplan vorgesehen wäre.«
»Dann lass uns das tun.«
»Nein«, widersprach sie. »Das ist bloß eine einzige Datei – von mehr als 800000. Wir können uns hier nicht so verzetteln, sondern müssen das größer aufziehen.«
»Wir brauchen Jolu«, sagte ich. »Für so was ist er genau der Richtige.«
Seit Stunden saßen wir beim Brainstorming. Ange war mittlerweile noch paranoider als ich und ließ mich mithilfe von TrueCrypt eine versteckte Kopie der VM anlegen.
»Mein Gedanke war folgender«, wiederholte ich. »Sie machen ihren Zugriff, stecken mich in einen Sack und schnappen sich den Computer. Sie schauen, was ich gerade gemacht habe, doch bevor sie viel
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