Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
hatte. Es gab einen besonderen Befehl, um zu spezifizieren, dass sich das Passwort in einer Datei befand, und ich musste erst nachschauen, wie das ging. Dann flimmerte die Liste der Files schneller an mir vorbei, als mein Auge ihr folgen konnte. Es waren wirklich viele Files. SEHR viele Files.
810097, um genau zu sein.
Wie hatte es Masha ausgedrückt?
Manchmal stößt man auf etwas so Schlimmes, dass man sich nicht mehr im Spiegel anschauen kann, wenn man nicht was unternimmt.
Das war ein verdammt großer Berg schmutziger Wäsche, yo.
Ich erkannte auf den ersten Blick, dass die Dateien manuell benannt worden waren: komische Zeichensetzung, wilde Groß- und Kleinschreibung, alles bunt durcheinander. Hätte ein Computer diese verrückten Anordnungen generiert, wäre zumindest irgendein zugrunde liegendes System erkennbar gewesen. Manche Namen waren recht aussagekräftig, wie »Bestechungsgelder Senat Verteid.Kom.doc«, andere waren schon geheimnisvoller, wie » AZB erichteAfgh32533«. Es gab auch einen File namens » WATERBOARDING . PPT «, eine PowerPoint-Präsentation.
Mir drehte sich der Magen um, wenn ich nur daran dachte.
Ich öffnete die Präsentation. Die erste Folie war nur ein Titel: » HARSCHE VERHÖRMETHODEN , SEMINAR 4320«. Die nächste war ein langer Geheimhaltungshinweis, der mehrere private Sicherheits- und Militärunternehmen aufführte, die anscheinend an der Produktion mitgewirkt hatten. Und die folgende …
… zeigte einen Jungen meines Alters, auf ein geneigtes Brett gefesselt, sodass sein Kopf tiefer lag als die Füße. Sein Mund war mit Frischhaltefolie umwickelt, und zwei große weiße Hände hielten einen Eimer über sein Gesicht und gossen ihm einen langen, gleichmäßigen Schwall Wasser in die Nase. Der Körper des Jungen war gespannt wie ein Bogen. Er kämpfte so heftig gegen seine Fesseln an, dass jede Sehne seines Körpers hervortrat. Er sah aus wie eine anatomische Skizze.
Nein.
Er sah aus wie ein Folteropfer.
Beim Waterboarding ist die Frischhaltefolie ein besonders hässliches Element: Das Wasser strömt in die Nase, aber nicht in die Lunge, weil der Körper nach unten geneigt ist. Der Körper – der Körper des Gefolterten – merkt aber, dass ihm Wasser in die Luftröhre dringt. Also schnappt er nach Luft, doch die Folie lässt ihn nur ausatmen. Wenn er einzuatmen versucht, schließt sie luftdicht ab. Er kann also ausschließlich durch die Nase atmen, aber da fließt ja das Wasser rein, also kann er auch das nicht.
Irgendwann ist seine Lunge völlig leer, so schlaff wie ein alter Luftballon, verschrumpelt wie eine Rosine. Sein Gehirn beginnt ohne Sauerstoff abzusterben. Es kann passieren, dass er so hart an seinen Fesseln zieht, dass seine Knochen brechen.
Die Regierung nennt so was gerne »simulierte Hinrichtung«, doch in Wirklichkeit ist es keine Simulation. Die Folterer bringen einen fast um. Und wenn sie nicht rechtzeitig damit aufhören, dann stirbt man auch.
Einen der Gefangenen in der Guantanamo Bay, in Amerikas geheimem Gefängnis, hat man hundertachtzigmal auf so ein Brett geschnallt. Hundertachtzigmal ist er beinahe gestorben. Angeblich hatte er die Anschläge vom elften September mitgeplant. Vielleicht stimmte das auch. Doch was immer er unter Folter erzählt hat, nur ein Idiot würde es glauben. Während man langsam ermordet wird, sagt man alles, damit es aufhört.
Doch daran dachte ich gar nicht. Ich war völlig im Bann dieses Jungen, seines Gesichtsausdrucks, der Adern auf seiner Stirn, des Schreckens in seinen Augen. Ich war selbst einmal in seiner Lage gewesen. Auch ich hatte diesen Ausdruck in den Augen gehabt.
Die Zeit stand still.
Dann war das Bild auf einmal verschwunden, und mit ihm das Fenster, in dem es gewesen war, und die VM , zu der dieses Fenster gehört hatte. Mein Totmannschalter hatte mich nach dem Passwort gefragt, nach der Zeitüberschreitung brav die VM abgeschossen und sich dann selbst gelöscht, genau wie er sollte. Ich hatte es nicht einmal mitbekommen. Ich hatte einfach nur dieses Bild angestarrt.
Und das Bild war nur der Bruchteil eines Files von insgesamt mehr als 800000. Ich würde wohl noch eine Weile beschäftigt sein.
Nach dem Abendessen klingelte Ange, und meine Mutter schickte sie hoch auf mein Zimmer. Sie schlich sich zu mir rein, legte mir die Arme um den Hals und küsste mich auf den Kopf, während ich so tat, als würde ich ihre Reflektion nicht auf meinem Bildschirm bemerken. Das war einfach so eins unserer
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