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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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waren.
    Dennoch fühlte es sich seltsam an, sein Kurzwahl-Icon anzutippen. Wie das eben so ist: Hat man jemanden ewig nicht mehr angerufen, wird es mit der Weile seltsam, und man tut es lieber nicht; noch mehr Zeit vergeht, und es kommt einem immer seltsamer vor …
    »Marcus!«, meldete er sich. Im Hintergrund waren eine Menge Lärm, Flaschengeklirre und laute Gespräche zu hören.
    »Jolu! Mann, Entschuldigung, dass ich dich einfach so anrufe … !«
    »Kurzen Moment. Ich gehe mal wohin, wo’s leiser ist.« Es klang, als steuerte er durch eine gut besuchte Party. »Hey, Alter! Lange nichts mehr gehört!«
    »Tut mir wirklich leid, dass ich dich einfach so anrufe … «
    »Nein, das passt schon. Freut mich sehr! Schön, dass du dich mal wieder meldest.«
    Das wirst du vielleicht noch anders sehen, wenn ich dein Leben erst auf den Kopf gestellt habe.
    » Könnten wir uns irgendwo treffen? Es ist ziemlich wichtig.«
    »Wie wichtig ist wichtig?«
    »Richtig wichtig. So wichtig, dass ich nicht am Telefon drüber reden möchte.«
    Oh Scheiße, hörte ich ihn murmeln. »Geht klar«, sagte er dann. »Jetzt gleich?«
    »Ja, gleich wäre gut.«
    »Hm.« Er überlegte. »Wie wär’s da, wo du Ange kennengelernt hast?«
    »Du meinst … « Ich verkniff es mir gerade noch rechtzeitig. Guter Mann – wenn uns irgendwer abhörte, hätte er keinen Schimmer, wo ich Ange das erste Mal getroffen hatte. Jolu war schon paranoider als ich, und dabei wusste er noch nicht einmal, um was es ging. Er war wirklich der Richtige für den Job. »Okay, wann passt es dir?«
    »In einer Stunde?«
    »Super«, sagte ich. »Und, Jolu? Vielen Dank.«
    Ich hörte ihn noch grunzen, konnte mir bildlich das leichte Grinsen dazu vorstellen und wie er amüsiert seine struppige Braue hob. »Kein Problem. Für dich jederzeit, das weißt du doch.«
    Es geht doch nichts über gute Freunde.
    Ich hatte Ange auf einer Keysigning-Party kennengelernt, die Jolu und ich in den Sutro Baths am Ocean Beach ausgerichtet hatten. Diese neuen und doch alt wirkenden Ruinen waren ganz schön unheimlich, irgendwie dramatisch, und ich würde mich noch ewig an die Nacht damals erinnern. Ange musste lachen, als ich ihr sagte, wohin es ging. Sie hatte mich zu unserem ersten Jahrestag dorthin geschleppt, und wir hatten ein Picknick bei Sonnenuntergang gemacht und auf der Decke geknutscht, bis es zu kalt wurde.
    »Wir sollten vielleicht unsere Handys abstellen«, schlug sie vor.
    »Gute Idee.« Das ist das Problem mit Paranoia – sie greift immer weiter um sich. Dennoch hatte Ange recht: Die Handys übermittelten unsere Position an die Mobilfunkanbieter, und wenn uns jemand ernsthaft überwachen wollte, war es auch denkbar, dass er irgendwie unsere GPS -Daten auslas. Es wäre schon eine ziemlich eindeutige Fährte, die wir da legten: Erst ruft Marcus seinen Freund Jolu an, dann treffen sich Ange, Jolu und er am Ocean Beach. Genauso gut hätten wir signalfarbene Westen mit dem Aufdruck MITVERSCHWÖRER tragen können. Sicherheitshalber nahm ich auch gleich meinen Akku aus dem Handy raus.
    Wir waren eine Viertelstunde zu früh – die Busse meinten es gut mit uns – , doch Jolu kam kaum fünf Minuten nach uns. Er schloss uns beide in die Arme, und Ange gab ihm einen Kuss auf die Wange. Das letzte Mal hatte ich ihn vor ein paar Monaten gesehen, als er im Noisebridge einen Vortrag über Open Data hielt. Seither hatte er sich einen gepflegten kleinen Oberlippenbart und spitz zulaufende Koteletten stehen lassen, und sein Bürstenschnitt wirkte wie mit dem Rasiermesser gezogen und gleichzeitig cool, sehr erwachsen und geschäftsmäßig. Er war schon immer besser angezogen gewesen als der Rest von uns, aber heute Abend war er besonders schick: Er trug ein Hemd mit feinen geschlängelten Linien, dass einem schwindlig wurde, wenn man sie zu lange ansah, dazu Jeans mit großen Nieten und teure Lederschuhe. Verglichen mit ihm kam ich mir mit meinem Kapuzenpulli, den Second-Hand-Hosen und den alten Bikerboots, an denen noch die halbe Playa klebte, wie ein Penner vor.
    Sein Atem roch noch ein bisschen nach Wein. »Ich hoffe, die Party war nicht allzu gut«, sagte ich.
    »War bloß die Releaseparty für eine neue Verkehrs-App.« Er zuckte die Achseln. »Wir sammeln anonymisierte GPS -Daten unserer User und versuchen, Staus vorherzusagen. Dazu kommen aktuelle Straßenarbeiten und alles aus dem Verkehrsfunk. Wenn die User uns den Zugriff auf ihre Kalender erlauben, können wir ihnen genau sagen,

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