Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
wir gewinnen?«
Jolu lachte. »Es gibt kein Gewinnen oder Verlieren, Marcus. Nur das Tun.«
»Mann, da lass ich dich ein paar Monate unbeaufsichtigt, und du verwandelst dich in Meister Yoda.«
»Also, was jetzt?«, fragte Ange.
»Na ja, wir werden es kaum schaffen, uns alle 800000 Dateien anzusehen.«
»810097«, sagte ich.
»Okay. Ich denke, wir sollten eine Art Webpage für die Dateien einrichten, irgendwas Sicheres, Privates, wo wir Suchfunktionen nutzen und uns austauschen können. Vielleicht finden wir dann die verstecken Juwelen darin.«
»Und was machen wir dann?«
»Dann gehen wir damit an die Öffentlichkeit.«
»Das ist schon klar«, sagte Ange. »Aber wie sollen wir das anstellen? Wie schaffen wir es, dass irgendwer die Seite wahrnimmt, ohne dass man sie zu uns zurückverfolgen kann?«
Jolu zuckte die Achseln und musterte die Ruinen. »Keine Ahnung. Kommt wohl darauf an, was wir alles finden. Wir könnten nach möglicherweise interessierten Journalisten googeln und ihnen die Dokumente über eine Wegwerfadresse zumailen. Vielleicht haben wir auch noch eine bessere Idee. Aber wenn man ein zweiteiliges Problem hat und die Lösung für den ersten Teil schon kennt, fängt man am besten schon mal an und hofft, dass einem die Lösung für den zweiten Teil noch einfällt. Vielleicht bietet sich was an.«
»Klingt gut«, meinte ich.
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Ange. »Aber was wird aus Zeb und Masha, Marcus?«
»Tja, das weiß ich auch nicht … Vielleicht bringen wir sie noch mehr in Gefahr, wenn wir das Material veröffentlichen. Vielleicht hilft es ihnen aber auch. Wir wissen, wer sie entführt hat: Carrie Johnstone. Das muss auf jeden Fall Teil der Geschichte sein, die wir veröffentlichen.«
»Bist du dir auch sicher, dass sie es war?«, vergewisserte sich Jolu.
»Es gibt Gesichter, die vergesse ich nicht. Ihres ganz bestimmt nicht. Sie war es.«
»Okay, okay. Dann lasst uns mal unsere Optionen durchgehen … «
Es stellte sich heraus, dass Jolu Kontakt zu einigen krassen Leuten im Darknet hatte – versteckten Bereichen im Tor-Netzwerk, die für jedermann zugänglich waren, vorausgesetzt, man kannte die Adresse. Doch im Gegensatz zu gewöhnlichen Seiten war es selbst dann unmöglich zu bestimmen, wo sich der zugehörige Computer befand, wemer gehörte und was man alles beschlagnahmen müsste, um die Inhalte zu entfernen. Solche Seiten konnte man zwar besuchen – aber man konnte sie nicht einfach vom Netz nehmen.
»Rendezvous-Punkte sind Server, die ein paar andere Server kennen, die wiederum andere Server kennen, die die entsprechende Adresse kennen. Man fragt beim Rendezvous-Punkt an, ob er einen nicht bekannt machen will, der führt seinen Tanz mit den anderen Servern auf und schafft eine vorübergehende Verbindung, die einem einmalig den Weg weist. Jedes Mal, wenn man die Darknet-Seite aufruft, nimmt man also einen anderen Weg. Mein Vorschlag wäre, dass wir uns irgendeine billige Server-on-Demand- VM schnappen und ein ParanoidLinux draufpacken – alles muss immer verschlüsselt ablaufen. Darauf kommt dann eine Kopie des kompletten Datensatzes und irgendwas Richtung Google Spreadsheets: Titel der Datei in die erste Spalte, daneben die Beschreibung und Platz für ein paar Tags. Dazu ein Skript, das automatisch alle paar Minten in den ungetaggten Dateien nach den Schlüsselwörtern sucht und Vorschläge zu verwandten Themen macht.«
»Und so gehen wir drei dann alle 800000 Dateien durch, oder was?« Vielleicht war es gemeinsam machbar, einige Hundert pro Abend abzuarbeiten, je nachdem, wie komplex sie waren. Trotzdem würde es immer noch Jahre brauchen – viel zu lange.
»Nein, nicht bloß wir drei. Mehr Augen sehen auch mehr. Wir brauchen Unterstützung – und ich glaube, ich kenne ein paar Leute, denen wir trauen können.«
Obwohl ich am nächsten Morgen früh rausmusste, verbrachte ich daheim noch viele Stunden mit der Dateisammlung. Eigentlich war das nicht meine Absicht gewesen, aber Jolus Idee, nach bestimmten Schlüsselwörtern zu suchen, ließ mich nicht los.
Zuerst versuchte ich es mit »Masha« und »Zeb«. Ich fand ein paar Dokumente mit »Zebra« und »mashallah«, aber das war’s auch schon. Dann probierte ich »Marcus« und »Yallow« – fünf Treffer, Leute mit meinem Vornamen, aber keiner davon ich.
Dann setzte ich auf »Carrie Johnstone« und gewann den Jackpot.
Carrie Johnstone war im Irak eine emsige kleine Soldatin gewesen. Ihr Name war in mehr
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