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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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als vierhundert Dokumenten erwähnt. Zuerst ging ich sie alphabetisch durch, aber das war zu verwirrend. Dann kam mir die glorreiche Idee, die Ergebnisse nach Datum zu sortieren und von alt nach neu durchzusehen; das jüngste war erst einen Monat alt.
    Diese vierhundert Dokumente – manche sehr kurz, andere lang – hielten mich bis morgens um drei beschäftigt. Und je mehr ich las, desto mehr erfuhr ich über Carrie Johnstones eigenartige und erschreckende Karriere beim US -Militär.
    Das erste Mal in Erscheinung getreten war sie in der Operationsbasis in Tikrit, der Stadt, wo Saddam Hussein seinen Palast gehabt hatte. In einer Aktennotiz beschrieb sie, wie ein paar irakische Gefangene den lokalen Sicherheitskräften übergeben worden waren. Zuerst war mir nicht klar, wieso jemand diesen Bericht aufgehoben hatte, doch schon das nächste Memo erklärte es. Darin ging es um die Frage, wieso dem Roten Kreuz nichts über die Übergabe erzählt worden war und warum es auch keine Bestätigung der irakischen Polizei dafür gab. Ein wenig Googeln brachte Klarheit: Einundfünfzig Männer, Frauen und Kinder waren im Gewahrsam der irakischen Polizeikräfte spurlos verschwunden. Niemand wusste, was aus ihnen geworden war. Man hatte sie aufgrund anonymer Tipps verhaftet oder wegen »verdächtigen Verhaltens« direkt von der Straße entführt. Man konnte nur mutmaßen, dass sie ohne Namen irgendwo in einem Gefängnis vor sich hin vegetierten, während ihre Familien sie schon für tot hielten. Oder sie waren tatsächlich tot und lagen in einem Massengrab.
    Dann wurde Johnstone auf die Operationsbasis Grizzly verlegt und arbeitete eine Zeitlang als »Nachrichtenoffizierin« für die Militärpolizei. Dort erhielt sie eine Abmahnung, weil sie »harsche Verhörmethoden« bei mutmaßlichen Terroristen angewandt hatte und für eine Großrazzia die Verantwortung trug, bei der mehr als fünfhundert Verdächtige festgenommen worden waren. In den Monaten darauf wurden alle wieder freigelassen, als sich nämlich herausstellte, dass sie keinen Kontakt zu Terroristen unterhielten.
    Etwa zu der Zeit verließ sie dann das Militär. Obwohl sie ihren Austritt in einem Schreiben auch selbst schriftlich erklärt hatte, ging aus einer Aktennotiz ihres vorgesetzten Offiziers an die zuständige Dienststelle hervor, dass man ihr den Austritt »nahegelegt« habe, nachdem es zu einem »Zwischenfall« mit »Materialien« gekommen sei. Ein anderes Memo war da deutlicher: Sie war daran beteiligt gewesen, amerikanische Waffen und Munition an Söldner eines privaten Militärunternehmens zu liefern, und diese Waffen und Munition waren anschließend in einem Massaker zum Einsatz gekommen, dem mehr als hundert Menschen zum Opfer gefallen waren.
    Also war sie auf den freien Markt gewechselt, hatte selbst für besagtes Militärunternehmen gearbeitet – bezahlte Killer, wie mir eine kurze Suche bestätigte – und sich unter anderem dadurch hervorgetan, dass sie ihrem neuen Arbeitgeber zu einem sehr lukrativen Geschäft mit genau der Basis, von der sie gerade erst gefeuert worden war, verholfen hatte.
    Es war wirklich eklig.
    Als ich später im Bett lag und meine Gedanken völlig durcheinandergingen, fragte ich mich, ob Carrie Johnstone Masha wirklich im Dienst der Regierung entführt hatte oder ob es eine persönliche Sache war, so viel belastendes Material, wie die Dateien über sie enthielten. Wie konnte die Army sie erst rausschmeißen und ihr dann nur einen Monat später für dieselbe Arbeit das Zehnfache zahlen? Waren die denn völlig bescheuert?
    Weil ich es mir nicht leisten konnte, am nächsten Tag völlig drinzuhängen, schlug ich mir den Bauch mit türkischem Mokka und Espressobohnen in Schokolade voll und schloss die Bestandsaufnahme unseres Netzwerks ab. Überraschenderweise stand mein Termin mit Joe schon fürs Mittagessen an. Das erste Mal hörte ich davon, als er um halb eins an meinem Schreibtisch auftauchte und mich erwartungsvoll anschaute.
    »Hi, Joe.«
    »Lust auf Mittagessen?«
    Wir gingen in ein nettes Veggie-Restaurant, wo sie ihn schon kannten und uns gleich einen Tisch gaben. Auch Joe kannte sämtliche Kellner beim Namen, selbst den Typen, der uns die Wassergläser füllte, und erkundigte sich bei jedem höflich nach der Familie und den Kindern, auch auf Spanisch, wenn es sein musste.
    Das Krasse daran war, wie ernst es ihm war. Er schien wirklich an den Antworten interessiert zu sein. Wenn ich auf einen Schlag viele neue Leute

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