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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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kennenlernte, schaffte ich es an einem guten Tag vielleicht, mir die Hälfte der Namen zu merken; ich hatte einfach kein gutes Gedächtnis dafür. Und wenn die Leute mir dann von ihren Kindern oder Geschwistern oder sonst wem erzählten, versuchte ich zwar, interessiert zu wirken, aber mal ehrlich, wie sehr kann man sich für das Leben von Menschen, die man kaum kennt, schon interessieren?
    Joe aber verfügte über die unheimliche Gabe, wirklich und aufrichtig interessiert zu sein. Wenn er mit einem redete, gab er einem das Gefühl, dass er auch zuhörte, sorgfältig und einfühlsam; während andere Leute nur darauf warteten, dass man fertig wurde, damit sie auch etwas sagen konnten. Es ließ ihn fast wie einen Heiligen dastehen, eine Figur aus einer religiösen Geschichte, die vor Liebe zu ihren Mitmenschen bald überfließt.
    Und das Seltsamste war, dass ich mir nicht wie ein Arsch vorkam, bloß weil ich selbst nicht so war. Eher weckte er in mir den Wunsch, so zu werden wie er, mich mehr anzustrengen.
    Sobald wir bestellt und etwas zu trinken hatten, sagte er: »Danke, dass du dir die Zeit für mich nimmst. Du hast bestimmt jede Menge zu tun.«
    Bei jedem anderen hätte ich gedacht, er wolle mir nur Zucker in den Hintern blasen, aber es klang wirklich so, als hielte er die Arbeit als Webmaster/Sysadmin/ IT -Mensch für den härtesten Job der Welt und wäre dankbar dafür, bloß herumrennen und Wählerstimmen gewinnen zu müssen.
    »Keine Ursache – ich meine, ist mir ein Vergnügen. Macht wirklich Spaß. Ich bin so froh, endlich einen Job zu haben, und dazu noch einen so coolen. Die Leute sind alle total nett und interessant, und ich glaube auch echt an unser Team, von daher … alles super.« Ich quasselte wie ein Idiot und konnte kaum damit aufhören, aber es schien ihm gar nicht aufzufallen.
    »Du erinnerst dich doch sicher noch an unser Telefonat. Ich hab erwähnt, dass Technologie eine entscheidende Rolle für uns spielt. Bestimmt hatte Flor bei eurem Gespräch eine ziemlich klare Meinung dazu. Und auch dazu, welche Art von Input sie von dir erwartet. Von daher stellst du dir vielleicht die Frage, wer in einem kleinen Kampf wie diesem nun am längeren Hebel sitzt. Dazu wollte ich dir ein wenig Kontext geben. Flor ist dein Boss – und meiner auch. Sie ist für jeden Aspekt unseres Wahlkampfs verantwortlich, und ihre Ansichten sind mir bekannt: beide Beine auf dem Boden lassen, Klinken putzen, Spenden sammeln. So weit hat sie auch ganz recht, und deshalb lasse ich sie auch Boss sein. Ich dagegen bin der Kandidat, und als solcher habe ich noch ein paar zusätzliche Prioritäten. Betonung auf ›zusätzliche‹, nicht ›andere‹. Flor hat recht, was das Klinkenputzen, das Sich-die-Hacken-Ablaufen und all das angeht. Aber sobald du ihr dabei, so gut es nur geht, geholfen hast, gäbe es noch etwas mehr, was du dir überlegen könntest. Ich möchte, dass du mir Wege eröffnest, auf denen ich Menschen erreiche, an die ich sonst gar nicht rankäme. Ich möchte, dass du mir Vorschläge machst, wie bestimmte Technologien die Zusammenarbeit von Wählern und ihren Vertretern verbessern und zu einer verantwortungsvolleren Politik führen könnten. Jeder technologische Fortschritt, von der Zeitung über das Radio bis zum Fernsehen, hat die Politik verwandelt, und nicht immer zum Guten. Manche glauben, das Internet sei nur ein Werkzeug für Politiker, um Spenden zu sammeln und Freiwillige zu koordinieren, aber ich glaube, das ist nicht mal ein Hundertstel dessen, was es wirklich für uns leisten kann. Ich möchte, dass du mir hilfst, die übrigen neunundneunzig Prozent zu erschließen.«
    Wow. »Okay – und dachtest du da an eine Art Essay, oder eine Webseite, oder … ?«
    Er lächelte. »Fangen wir doch mit einem Gespräch wie diesem an, morgen nach der Arbeit. Ich lasse es Flor in unser beider Terminkalender eintragen.«
    Das machte mich stolz, doch gleichzeitig auch etwas nervös – ich wollte ihn wirklich nicht hängen lassen, aber alles, woran ich gerade denken konnte, waren Darknet-Seiten und geklaute Daten. Ich fragte mich, was er wohl davon halten würde, dass ich auf 800000 vertraulichen, belastenden Geheimdienstdokumenten saß. Ich dachte aber auch an das, was Flor gesagt hatte: Sobald ich dich bei irgendwas erwische, was auch nur ansatzweise illegal, anstößig, gefährlich oder ›leet‹ auf mich wirkt, werde ich dich persönlich mit einem Tritt in den Hintern hinausbefördern.
    Nach der Arbeit ging ich

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