Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
übereinstimmt. Man sieht also, ob ein Update echt ist oder ein Fake.«
»Worauf warten wir dann noch? Los, installieren wir’s!«
Ange deutete auf ihr Handy, das bereits per Kabel an ihrem Laptop hing. »Was glaubst du wohl, was ich gerade mache?«
»Machst du meins bitte als Nächstes?«
»Rate mal.«
Und das war noch nicht alles. Vergleichbare Trojaner gab es auch für Mac und PC ; sie gaben sich als Updates für iTunes oder den Browser aus. Aus dem E-M ail-Verkehr eines IT -Mitarbeiters, der vor seiner Zeit beim Heimatschutz bei einem der fraglichen Provider beschäftigt gewesen war, ging hervor, dass eine Scheinfirma in Äquatorialguinea (ein Staat, von dem ich noch nie was gehört hatte!) dieselben Produkte auch nach China, Iran und an andere Länder verkaufte.
Es wurde immer schlimmer: Logs, die belegten, wie man Spyware auf den Rechnern harmloser Friedensaktivisten installiert hatte. Einbrüche, die durch diese Form von Spionage überhaupt erst möglich geworden waren.
Ich versuchte zu verstehen, wie das alles überhaupt funktionierte. Schließlich liefen Softwareupdates üblicherweise über SSL , wobei sich der Server gegenüber dem Client mit einem Zertifikat authentifizierte. Wie täuschte man also eine Verbindung zu Apple, Google, Microsoft oder Mozilla vor?
Eine Suche nach »Zertifikate Kommunikationsüberwachung« brachte die Antwort, wieder in Form eines E-Mail-Verkehrs, diesmal mit einer der wichtigsten amerikanischen Zertifikatsstellen, deren signierende Zertifikate von fast allen Browsern und Betriebssystemen akzeptiert wurden. Anscheinend hatten sie den Heimatschutz jahrelang mit Blankozertifikaten versorgt, die es der Regierung erlaubten, unbemerkt als beliebiges Unternehmen aufzutreten: als die eigene Firma, die eigene Bank oder als Apple, Microsoft oder Google.
Ange und ich teilten uns die restlichen Dokumente zu diesem Thema auf und drangen immer weiter in die erschreckende Welt der Schnüffler und Spione vor. Ehe ich mich’s versah, war es schon zwei Uhr früh, und ich konnte kaum noch meine Augen offen halten.
»Magst du heute Nacht hierbleiben?«, fragte Ange, als ich zum zehnten Mal in fünf Minuten gähnte.
»Ist gebongt.« Wir hatten diesen Sommer damit begonnen, gelegentlich beim anderen zu übernachten, und auch wenn es anfangs komisch gewesen war (besonders das gemeinsame Frühstück mit den Eltern!), hatten sich bald alle daran gewöhnt. Meine Eltern hatten ganz andere Sorgen, und Anges Mom war eine dieser wenigen, coolen Erwachsenen, die ein gutes Gespür dafür besitzen, worauf es ankommt und worauf nicht.
8
Es waren mal, vor langer Zeit, ein paar Terroristen. Die jagten in meiner Stadt eine Brücke in die Luft und brachten damit über viertausend Leute um. Angeblich hat sich dadurch alles verändert. Angeblich müssen wir jetzt auf ein paar unserer Rechte verzichten, denn Terroristen schnappen ist einfach wichtiger als unsere kleinen Freiheiten.
Angeblich haben sie die Terroristen sogar wirklich geschnappt. Der Rädelsführer, so hieß es, wurde im Jemen von einer Drohne getötet. Wenn das denn stimmt, hätte ich nicht mal ein Problem damit. Ich hoffe sogar, dass es stimmt. Natürlich zeigte man uns nie einen Beweis, weil es die »nationale Sicherheit« tangierte.
Dieses »alles hat sich verändert« wurde aber sehr schnell zu viel mehr als nur einer Lagebeschreibung. Es wurde zu einer Forderung – und zwar danach, dass wir alle eine neue Wirklichkeit zu akzeptieren hätten, eine Wirklichkeit, in der man uns ausspionieren, verhaften, ja sogar foltern durfte.
Ein paar Jahre später änderte sich wiederum alles. Wie über Nacht hatte auf einmal niemand mehr Arbeit, niemand mehr Geld, und die Leute verloren ihre Häuser. Es war schon komisch, denn diesmal war es offensichtlich, dass sich einiges verändert hatte; aber diesmal wollte niemand darüber reden.
Wenn die Straßen voll mit bewaffneten Polizisten und Soldaten sind, die einem erzählen, jetzt sei alles anders, fällt es leicht, darauf zu zeigen und zu sagen: »Stimmt, ist wirklich alles anders.«
Aber wenn irgendwelche mysteriösen Kräfte der Finanzpolitik die Welt auf den Kopf stellen – wenn »alles ist auf einmal anders« nur eine ehrliche Beschreibung, keine Forderung ist – , wird es plötzlich viel schwerer, einen Konsens darüber zu finden, was genau denn eigentlich passiert ist und was wir jetzt dagegen tun sollten.
Es war eine Sache, den Abzug der Bewaffneten von unseren Straßen zu fordern.
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