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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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Minute der Schweiß auf der Lippe stehen musste, wenn sie sich einen Tropfen davon auf die Zunge gab. Ein paarmal im Jahr maß sie nach, wie scharf das Öl gerade war. Dazu gab sie etwas Alkohol in ihre Mischung und verdünnte sie so lange mit Zuckerwasser, bis sie die Schärfe kaum noch wahrnehmen konnte. Das letzte Mal war sie bei 320000 Scoville rausgekommen. Ungefähr ab da hatte ich dann auch darauf bestanden, dass sie sich die Zähne nach dem Essen putzte, wenn sie mich küssen wollte. Ich bekam sonst nämlich Verbrennungen auf der Lippe.
    »Sind nur Würstchen und Chips«, sagte Mom. »Gutes englisches Essen.«
    »Aber von einem Amerikaner gemacht«, widersprach Dad, der am Herd stand.
    » Oi! Ich hab die Chips doch in den Backofen getan, oder nicht?« Wenn Mom das britische Wort »Chips« gebrauchte, meinte sie damit Pommes – insbesondere ihre selbstgemachten aus Süßkartoffeln, die sie in der Tiefkühltruhe aufbewahrte. Ich muss gestehen, dass sie ziemlich großartig sind.
    »Natürlich, mein Schatz. Außerdem hast du mich die ganze Zeit überwacht.«
    Dad stellte die brutzelnden Würstchen auf den Tisch. Er hatte mal eine Zeitlang auf Honorarbasis einem Bioladen bei der Datenverwaltung geholfen, und als er die Leute zuletzt angeschrieben und gefragt hatte, ob es vielleicht wieder was in der Art zu tun gäbe, hatten sie Mitleid mit ihm gehabt und verkauften ihm seitdem Fleisch zu Mitarbeiterpreisen. Von daher hatten wir so viel Emu-, Wild- und Büffelwürstchen, wie wir nur essen konnten. Besonders die mit Wild schmeckten gut, solange man beim Essen nicht zu viel an Bambi dachte.
    Dad schaltete die laute Dunstabzugshaube aus, die den ganzen leckeren Rauchgeruch nach draußen saugte. Dann griff er sich an den Kopf. »Mensch Ange, du bist doch jetzt Vegetarierin, oder?«
    Ich verkniff mir ein Grinsen. Ange war diesen Sommer tatsächlich Vegetarierin geworden, aber Burning Man hatte die Fleischfresserin in ihr wieder geweckt – zu viele leckere Barbecues.
    »Das passt schon«, meinte sie. »Fleisch ist auch bloß hochgradig verarbeitete Pflanzenmasse.«
    »Ooookay«, meinte Dad, schaufelte ihr ein paar Würstchen auf den Teller und nahm dann Platz.
    Irgendwie war es herrlich, mal wieder als Familie zu Abend zu essen, vor mir ein Teller voller guter Sachen, meine Eltern unbeschwert und guter Dinge; ganz so, als müssten sie sich nicht ständig Sorgen wegen der Haushypothek und der Lebenshaltungskosten machen.
    Natürlich konnte es dabei aber nicht bleiben. Ich musste einfach etwas Dummes sagen.
    »Neulich hab ich was Cooles gelesen. Es ging um die Geschichte der Kryptografie im Zweiten Weltkrieg – in einem Kapitel vor allem um die Enigma, und wie man in Bletchley Park in England daran gearbeitet hat, sie zu knacken.«
    »Was war die Enigma noch gleich?«, fragte meine Mutter.
    »Die Chiffriermaschine, mit der die Nazis ihre Nachrichten verschlüsselt haben«, erwiderte Dad. »Das weiß ja sogar ich.«
    »Sorry«, sagte Mom. »Ich bin wohl etwas eingerostet, was den ganzen Nazi-Kram angeht.«
    »Eigentlich«, warf Ange ein, den Mund voller Büffelwürstchen, »war die Enigma nicht unbedingt Nazi-Kram. Die Technik stammt aus den Niederlanden und war eigentlich für die kommerzielle Nutzung gedacht, vor allem für die Banken.«
    »Stimmt«, sagte ich. »Und alle Achsenmächte haben sie benutzt. Die ersten Modelle waren, na ja, wunderschön. Wirklich gute Arbeit von ein paar super Ingenieuren. Mit der Zeit kamen immer mehr Kniffe dazu, sodass der Code immer schwerer wurde. Es gab ein gutes Dutzend unterschiedlicher Modelle, mit immer mehr Rotoren und anderem Kram. Gleichzeitig aber brauchten sie ja ihre ganzen Ressourcen, um Leute umzubringen, und so hatte man am Ende zwar eine Kiste mit zwölf Walzen statt drei, aber aus billigen Werkstoffen, die einfach nur, keine Ahnung, langweilig und zweckdienlich aussah, ohne das Flair und das Können der ersten Generation. Wahrscheinlich war da auch die Stimmung ziemlich im Keller. Die Konstrukteure waren sicher die halbe Zeit damit beschäftigt, die Arbeit der Zwangsarbeiter zu überwachen oder die Toten aus den Vernichtungslagern zu addieren. Der Krieg hat alles Schöne, Elegante aus den Dingern rausgezogen, bis niemand bei Verstand sie mehr als ›hübsch‹ bezeichnen würde.«
    »Wow«, meinte Ange, »voll symbolträchtig.«
    Ich gab ihr einen spielerischen Knuff. »Ist es auch, Doofkopf. Es hat einem im Kleinen gezeigt, wie alles Gute in einer Gesellschaft

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