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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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Marmorstatuen nebeneinander, steif und ohne einander zu berühren. Immer wieder ging ich im Geiste die Ereignisse des Tages noch einmal durch: von den anonymen Hackern auf meinem Computer über die Schläger von Zyz bis zu Ange, die wütend und enttäuscht von mir war. Immer wieder ging es so im Kreis, ein ewiger Chor von Vorwürfen, bei denen ich Schuldgefühle empfand.
    Als die Stimmen zu laut wurden, stand ich schließlich auf und zog mich ungeschickt im Dunkeln an. Ich hörte, wie Ange den Atem anhielt, sich anschickte, etwas zu sagen, es aber nicht tat.
    Hastig stopfte ich meinen Kram in den Rucksack, dann ging ich halb angezogen und mit offenen Schuhen hinaus, die Treppe runter und nach draußen.
    Wenigstens war ich so vorausschauend gewesen, mein Handy zu laden. Ich warf einen Blick auf die Kurzwahlliste. Ich hätte wohl meine Eltern anrufen können, aber was sollte ich ihnen sagen? Wie hätten sie mir helfen können?
    Es gab noch zwei weitere Leute, die in Frage kamen, aber ich hatte sie schon seit Monaten nicht mehr angerufen, deshalb waren sie automatisch ans Ende der Liste gewandert. Ohne mein manuelles Zutun wären sie mittlerweile ganz von ihr verschwunden.
    Darryl und Van.
    Lange ließ ich meinen Daumen über Darryls Bild schweben, während ich Richtung Market Street lief. Dachte daran, wie kompliziert zuletzt alles mit ihm gewesen war, seit Van mir gestanden hatte, dass sie mal in mich verknallt gewesen war, ich aber nicht wusste, ob Darryl es wusste. Dass Van und Ange sich seit Jahren hassten, machte es nicht leichter, und so hatte ich keine Ahnung, ob Darryl eifersüchtig auf mich war oder ob er aus Solidarität mit Van bloß meine Freundin nicht leiden konnte. Erst waren Tage vergangen, an denen wir nichts voneinander hörten, dann Wochen, dann Monate. Je größer die Abstände wurden, desto seltsamer und unangenehmer wurde es aber auch, sich zu melden, denn dadurch wurde es auf einmal zu etwas Besonderem.
    Mir war kalt, und ich fing an zu zittern. Dann war mir plötzlich, als gäbe etwas in mir nach, und ich zitterte nicht mehr der Kälte wegen. Ich drückte die Taste. Es war nach drei Uhr früh. Es klingelte und klingelte.
    »Hi, hier ist Darryl. Hinterlasst eine Nachricht, oder schickt mir am besten eine SMS oder Mail.«
    Ich legte auf.
    Schon komisch, wie ich mir gleichzeitig so allein und so überwacht vorkommen konnte. Ich hatte zwar ParanoidAndroid installiert, aber das hieß nicht, dass man mein Handy nicht mehr übernehmen konnte – bloß, dass es schwieriger war. Hatte ich es im Auto mit Timmy und Knotenkopf die ganze Zeit über im Blick gehabt? Hatten sich die Gestalten, die sich Zugriff auf meinen Laptop verschafft hatten, vielleicht auch an meinem Handy versucht?
    Wahrscheinlich war es besser, dass Darryl nicht ranging. Jemanden morgens um drei aus dem Bett zu klingeln, weil man gerade einen Zusammenbruch hat, ist nicht die beste Art und Weise, eine Freundschaft wiederzubeleben …
    Mein Handy klingelte. Es war Darryl.
    »Hey, Mann … «
    »Alles klar bei dir, Marcus?« Er klang so aufrichtig besorgt, dass ich beinahe losgeweint hätte.
    Sorry, auf die falsche Taste gekommen … Wahrscheinlich hat mein Arsch dich angerufen … Tut mir echt leid. Schlaf einfach weiter. Die Worte lagen mir auf der Zunge, doch ich sprach sie nicht aus.
    »Nein«, sagte ich. »Nein, nichts ist klar.« Ein Einsatzwagen der Feuerwehr raste mit heulender Sirene an mir vorbei, und ich zuckte zusammen.
    »Wo steckst du?«, fragte er.
    Ich schaute mich nach Straßenschildern um. »Ecke Market und Guerrero.«
    »Bleib da. Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.«
    Freunde …
    Darryls Dad hatte seinen Job an der Uni zwar behalten, allerdings »freiwillig« eine Gehaltskürzung hingenommen. Noch war es aber nicht so schlimm, dass sie ihren zehn Jahre alten Honda hätten verkaufen müssen, für den Darryl seinen eigenen Schlüssel hatte. Der Wagen war echt hässlich und wurde vor allem von Kitt und guten Wünschen zusammengehalten, aber er war immer noch ein Auto und schaffte es um diese Zeit in fünfzehn Minuten von den Twin Peaks bis in die Innenstadt; auch wenn ich annahm, dass Darryl dafür ein paar Ampeln bei Dunkelgelb, ein oder zwei vielleicht auch bei Rot überquert hatte.
    Er hielt am Straßenrand und entriegelte die Tür. Ich stieg ein und erinnerte mich sofort an den vertrauten Geruch des Autos, in dem ich schon unzählige Male gesessen hatte: alter Kaffee, ein Hauch von McDonald’ s-F rühstück, der

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