Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
halb verbackene, halb verschimmelte Geruch eines Wagens, der zu viel Zeit mit geschlossenen Fenstern im Wechsel von sengender Hitze und kühlem Nebel auf dem Campus von Berkeley verbracht hatte.
Darryl trug Jogginghosen und ein T-S hirt und hatte sich seine Converse nur lose über die nackten Füße gestreift. Aus dem rechten Schuh ragte seine große Zehe hervor. Darryl hatte riesige Füße, und früher oder später schauten seine Zehen immer raus.
Das Erste, was er sagte, war nicht »Was ist denn los, weißt du eigentlich, wie spät es ist?« oder »Jetzt bist du mir was schuldig, Alter«, sondern »Schön, dich mal wieder zu sehen.«
Das war das Beste, was er hätte sagen können. »Gleichfalls«, erwiderte ich. »Das finde ich auch.«
Dann rang ich nach Worten, einem Beginn für meine Geschichte. Er wusste vom Darknet, hatte die Dokumente gesehen. Vermutlich hatte er auch bei den Zyz-Docs mitgeholfen. Doch es gab so viel, was ich hätte sagen wollen, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Ich schloss die Augen, um kurz nachzudenken … und das Nächste, was ich weiß, ist, dass er mich wachrüttelte. Ich zwängte meine verklebten Lider auf und schaute mich um. Wir standen vorm Haus seines Dads, das mir einst genauso ein Zuhause wie mein eigenes gewesen war.
»Hoch mit dir«, sagte er.
Ich stolperte ihm nach, streifte im Flur meine Schuhe ab und folgte ihm in sein Schlafzimmer.
Bei ihm im Bett, mit einem T-S hirt bekleidet, saß Van, die Haare in einer wilden Manga-Frisur. »Hi, Van«, sagte ich im Halbschlaf, während Darryl mich zu der schmalen Matratze lotste, die am Fußende des Betts bereitlag. Ich ließ mich fallen und hatte die Augen schon zu, ehe mein Kopf das Kissen berührte. Irgendwer – Darryl wahrscheinlich – wollte noch die Decke unter mir hervorziehen, um mich damit zuzudecken, doch ich reagierte schon nicht mehr. Mein Körper war wie aus Blei – er merkte, dass ich in Sicherheit war, bei Menschen, denen ich vertrauen konnte, und wollte keine Sekunde länger wach bleiben. Kurz kam mir noch der Gedanke, dass ich mir den Wecker stellen sollte, wenn ich morgen nicht zu spät zur Arbeit sein wollte, doch meine Hände waren schon schwer wie Holzblöcke, und mein Handy steckte Millionen Meilen entfernt in meiner Tasche. Außerdem war ich da auch schon eingeschlafen.
Ich erwachte beim Duft von Eiern mit Speck, Toast und vor allem Kaffee. Das Schlafzimmer war verlassen, und durch die schweren Jalousien fiel graues Licht. Als ich sie aufzog, stellte ich fest, dass draußen helllichter Tag war. Ich zog mein Handy aus der Tasche, was etwas wehtat, denn ich hatte darauf geschlafen. 11:24 Uhr – ich war unglaublich spät dran, auch wenn es Samstag war. Im Wahlkampfbüro arbeiteten die meisten auch am Wochenende, weil man gerade da viele Wähleraktionen starten konnte. Meine Nebennieren wollten mich mit einem ordentlichen Adrenalinschub auf die Beine bringen, doch alle Panik, derer ich fähig war, hatte sich gestern verbraucht. Stattdessen empfand ich bloß eine nervöse Unruhe, während ich rasch aufs Klo und dann hinunter in die sonnige Küche ging.
Vor lauter Helligkeit musste ich blinzeln, was eine belustigte Reaktion von Darryl und Van hervorrief, die in einem Wirbel von Pfannen und Töpfen, Gläsern und Tassen durch die Küche tanzten.
»Hab ich’s doch gesagt, dass ihn das wecken wird«, sagte Darryl. »Der Mann denkt mit seinem Magen.«
Van kicherte. »Immerhin fünfzehn Zentimeter höher als das Gehirn der meisten Männer.« Sie gaben sich einen Kuss. Waren Ange und ich genauso schrecklich? Wahrscheinlich schon.
»Leute«, sagte ich. »Ich bin euch wirklich was schuldig, aber ich kann leider nicht zum Frühstück bleiben. Ich bin viel zu spät dran … «
»Zur Arbeit«, beendete Darryl den Satz. »Ich weiß. Weshalb ich auch deine Mom angerufen habe, und die deinen Boss. Sie hat ihm gesagt, dass es dir bescheiden geht und du den Morgen von daheim aus arbeitest und versuchst, es nachmittags noch ins Büro zu schaffen. Du bist auf der sicheren Seite. Jetzt setz dich und iss was.«
Ich kam aus dem Staunen über meine Freunde gar nicht mehr raus. Da zog die köchelnde Espressokanne auf dem Herd meine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Espressokanne ist nicht die schlechteste Art, Kaffee zu machen, aber es erfordert etwas Geschick: Den unteren Teil füllt man mit Wasser, den Einsatz mit gemahlenem Kaffee, dann stellt man das Ganze einfach auf den Herd. Das Wasser erhitzt sich und
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