Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
erschien ihre kleine Schwester Tina an der Tür. »Weißt du noch, was ich dir mal gesagt habe? Dass ich dir, wenn du ihr das Herz brichst, deinen Sack über den Kopf ziehe?« Sie war zwei Jahre jünger als Ange, groß und dünn, während Ange klein und kurvenreich war, aber sie waren unverkennbar Schwestern, mit fast der gleichen Stimme und Mimik.
»Ich erinnere mich nur zu gut, Tina. Aber könnten wir den Umbau meiner Genitalien vielleicht auf später verschieben? Wir haben grade was zu erledigen, das wichtiger ist als Ange oder ich oder wir alle.«
Sie legte den Kopf schief. »Ich werd’s mir überlegen.«
Ange kam die Stufen hinuntergerauscht, noch Zahnpasta im Mundwinkel. Sie trug ihren langen neonblauen Regenmantel, den ich so mochte, dazu handbemalte Segeltuchschuhe und selbstgenähte japanische Hosen, alles Sachen, die ich zuletzt – gestern Nacht kam mir wie hundert Jahre vor – auf ihrem Fußboden hatte liegen sehen.
»Tina, es reicht. Schluss mit Genitalien.« Tina äffte sie erst nach, gab ihrer Schwester dann aber einen Kuss auf die Wange. »Gehen wir«, sagte Ange, eilte an mir vorbei zum Auto und zögerte nur eine Sekunde, ehe sie energisch die hintere Tür aufriss und sich neben Van setzte. Ich stieg vorne ein und warf einen besorgten Blick in den Rückspiegel. Noch sah es nicht danach aus, dass Van und Ange einander an die Gurgel gehen würden. Ich versuchte, mir meine Sorge nicht anmerken zu lassen.
Die Stimmung im Auto lastete so schwer auf uns wie der Nebel an einem feuchten Abend auf den Twin Peaks.
»Du weißt, wo Jolu sein Büro hat?«, fragte ich Darryl.
»Wir fahren zu Jolu?«, fragte Ange.
»Ich sagte doch, wir bringen’s jetzt hinter uns. Und dafür sollten wir am besten alle persönlich vor Ort sein. Dann brauchen wir uns nicht verrückt zu machen, ob jemand unsere Laptops oder Handys abhört.«
Ange holte ihr Handy heraus und schaltete es ab. Ich tat es ihr gleich, genau wie Van. Darryl fummelte seins aus der Hosentasche und reichte es mir, damit ich ihm half.
»Okay«, meinte Ange.
»Ja, ich weiß, wo Jolu arbeitet«, antwortete Darryl auf meine Frage. Die halbe Strecke hatten wir schon hinter uns. Darryl hatte ein fast mystisches Talent, den Verkehr in San Francisco zu meistern. Er hätte der weltbeste Taxi- oder Fluchtwagenfahrer werden können.
»Wie genau ist der Plan?«, fragte Ange.
»Es gibt keinen«, erwiderte Van. »Sie sind einfach ins Auto gestiegen und losgefahren.«
»Sieht ihnen ähnlich.«
Die beiden Mädchen tauschten kurz Blicke, und ich gab mir Mühe, nicht den Atem anzuhalten. Seit der achten Klasse schon standen sie miteinander auf Kriegsfuß. Ich kannte nicht die ganze Geschichte, nahm aber an, dass es einfach eine dieser Geschichten war, die sich irgendwann so verselbstständigen, dass man einfach deshalb nicht mehrmiteinander kann, weil man halt nicht miteinander kann.
»Hast du eigentlich ’nen Anwalt?«, fragte Van.
»Nicht wirklich«, sagte Ange. »Damals, nach ›Guantanamo-in-der-Bay‹, hatten wir ja bloß Pflichtverteidiger und die Leute von der Bürgerrechtsunion.«
»War’s bei dir die Frau von der Bürgerrechtsunion oder der Mann?«
»Beide. Aber die Frau machte den besseren Eindruck. Wie hieß sie noch mal?«
»Alyssa? Alanna?«
»Elana«, sagte Ange. »Die war gut.«
»Ich hatte bloß überlegt, ob wir uns nicht die Nummer eines Anwalts auf den Arm schreiben sollten – nur für den Fall der Fälle. Man darf ja nur einen einzigen Anruf machen. Den will ich nicht für die Auskunft verschwenden.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihre Nummer noch in meinen Mails hab.« Ich hörte, wie Ange ihren Laptop startete und ihr Passwort eingab.
»Ich hab einen Edding.«
Es folgte allgemeines Armgekritzel.
»Doch nicht so groß!«, beschwerte sich Ange.
»In der Größe können aber auch wir das noch aus ziemlichem Abstand lesen, falls die Nummern bei uns schon verwischt sind oder sonst was passiert ist.«
»Guter Punkt. Krempel mal deinen Ärmel hoch.«
»Du glaubst wirklich, dass man uns mit einem Anwalt reden lässt, wenn man uns hochnimmt?«, fragte ich, insgeheim erfreut, wie zivilisiert die beiden miteinander umgingen.
»Ach halt doch die Klappe«, sagte Ange. »Stell dir vor, die erlauben dir einen Anruf, und dann hast du keine Nummer zur Hand. Wäre doch bescheuert.«
»Stimmt schon«, meinte Darryl.
»Spar dir deine Kommentare«, sagte Van. »Und an der nächsten roten Ampel gibst du mir deinen Arm.«
Ich
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