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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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Verteidigung vor.
    »Ich erledige das«, erwiderte Stone, bevor er sich Rae zuwandte. Sein Blick wurde sehr viel strenger: »Was du getan hast, ist nicht schlau oder originell. Es ist grausam und gemein. Deine Familie hat fünf Tage lang schlimmste Ängste ausgestanden. Ich werde dafür sorgen, dass du diesmal nicht mit einem blauen Auge davonkommst, junge Dame.«
    Als Stone die Tür von außen verriegelte, wurde Rae richtig bleich. Durch die Gitterstäbe sah ich dem Inspektor nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwand. Seltsam, dass ich in diesem Augenblick nur einen Gedanken hatte: Könnte er Ex-Freund Nr. 10 werden?
    Wir schwiegen mindestens eine halbe Stunde. Rae war so eingeschüchtert, dass sie kein einziges Wort herausbrachte. Damit dürfte sie alle ihre früheren Rekorde übertroffen haben.
    Nach einer Weile siegte bei mir aber die Neugier, und ich fragte: »Du hast also die vier Tage pausenlos in diesem Motelzimmer zugebracht?«
    »Zwischendurch bin ich rausgegangen, um Essen zu besorgen.«
    »Sicher. Richtiges Essen, wie Ding Dongs und Snickers.«
    »Ich hatte auch Slim Jims. Und Pringles.«
    »Hast du dir die Zähne geputzt?«
    »Zweimal täglich. Und ein Mal hab ich sogar Zahnseide benutzt.«
    »Und was hast du den ganzen Tag gemacht?«
    »Die hatten Kabelfernsehen. Alle Sender. Unglaublich, was da läuft.«
    »Du wolltest, dass ich nach Hause zurückkomme, war es das?«
    »Früher waren wir doch alle so glücklich. Ich wollte bloß, dass es wieder so wird wie vorher. Und du solltest endlich merken, worauf es wirklich ankommt.«
    »Das ist doch krank.«
    Rae dachte kurz nach. »Ich habe es nicht richtig angepackt. Das sehe ich jetzt ein.«
    Unsere Eltern schienen eine halbe Ewigkeit zu brauchen, um den Flur bis zu unserer Zelle zu durchqueren. In ihren Gesichtern spiegelten sich die widersprüchlichsten Gefühle. Stone öffnete die Zellentür und ließ sie herein.
    Moms Gesicht war vom vielen Weinen gezeichnet, doch inzwischen hatte sie ihre Tränen getrocknet. Noch nie hatte ich sie so wütend erlebt, auch wenn sie diese Wut nicht offen zeigte.
    Stone nahm erst mir die Handschellen ab, dann meiner Schwester. Raes erster Impuls war, sich Mom und Dad an den Hals zu werfen. Denn sie hatte unsere Eltern auch sehr vermisst. Allerdings signalisierten sie nicht gerade Bereitschaft, ihre Umarmung zu erwidern.
    Rae senkte den Kopf. Leise sagte sie: »Es tut mir so leid. Ich verspreche, dass so etwas nie wieder vorkommt.«
    Mom nahm sie in ihre Arme, wieder musste sie weinen. Dann durfte Dad sie umarmen. Er drückte sie an sich, so fest, dass Rae nach Luft schnappte.
    »Das wirst du uns büßen, Schätzchen«, sagte er.
    Da erst begriff ich, dass sich alles zum Guten wenden würde.

Epilog - Schuld und Sühne
    Obwohl unser Vater vom Gericht unerbittliche Strenge verlangte, ließ sich der Richter Stevens von Raes herzzerreißendem Plädoyer erweichen. Sie sang die Schnulze vom Mädchen, das nur aus Liebe gehandelt habe, und schloss mit dem Satz: »Sehen Sie mich doch an. In der JJVA überlebe ich keinen Tag.« Ohnehin fand der Richter an Rae mehr Gefallen als am Rest der Familie Spellman.
    Da sie aber eine Lektion verdient hatte, verurteilte er sie zu neun Monaten auf Bewährung. Die Auflagen sahen unter anderem eine Ausgangssperre vor – nach 19.00 Uhr durfte Rae das Haus nicht mehr verlassen – und hundert Stunden unentgeltliche Arbeit zu gemeinnützigen Zwecken, die sie im Genesungsheim von Oak Tree ableisten sollte. Mom und Dad hatten sich für diese Variante entschieden, im Glauben, nichts könnte für Rae quälender sein als diese eintönige Arbeit. Allerdings hatte Rae mal eine Sendung über den Pflegenotstand in Altersheimen gesehen, und so nutzte sie die Gelegenheit, um alle Beschäftigten in Oak Tree zu überprüfen. Dabei kam sie einem Mitarbeiter auf die Schliche, der die Patienten bestahl; einen anderen überführte sie der Misshandlung und Vernachlässigung Schutzbefohlener. Es war Rae gelungen, eine Kamera ins Heim zu schmuggeln und in beiden Fällen genug Beweismaterial zu filmen. Das Band reichte sie an Inspektor Stone weiter, weil sie keinen anderen Polizisten kannte, und er informierte die zuständige Behörde.
    Erholungsheim Zum Grünen Klee
Als Rae zurückkehrte, musste Onkel Ray zu seinem Leidwesen Buße tun – immerhin hatte er Gott versprochen, eineEntziehungskur zu machen, sollte seine Nichte unversehrt aufgefunden werden. Dass Rae ihr Verschwinden selbst verschuldet haben könnte,

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