Little Miss Undercover - Ein Familienroman
einem sicheren Ort verbracht. Die einzige Gefahr, der sie ausgesetzt gewesen war, bestand in wahnwitzigen Mengen von Zucker.
Rae hatte sich selbst entführt. Der Grund lag auf der Hand. Damit wollte sie die Familie wieder zusammenführen. Ich sollte nach Hause zurückkehren. Rae hatte die Absicht gehabt, eine Tragödie zu inszenieren – so furchtbar, dass wir einander nie wieder bespitzeln, belauschen und befragen würden. Das sollten wir künftig nur bei anderen machen.
Meine Kreditkarte hatte sie bloß benutzt, um mich auf ihre Spur zu bringen. Ihr Verschwinden sollte uns alle wachrütteln. Doch ich war die eigentliche Adressatin. Ich hatte den ganzen Schlamassel zu verantworten. Ich war schuld.
Sie hielt meinem Blick stand, auf der anderen Seite des Parkplatzes, und hielt ihre verbotenen Schätze fest. Kaum hatte ich die Gewissheit, dass meine Schwester lebte, rief ich ihr zu: »Du bist tot.« Das Gesagte ging wahrscheinlich im Straßenlärm unter, aber sie verstand die Geste, als ich mir mit dem Zeigefinger über die Kehle fuhr.
Raes Vorräte fielen rundherum zu Boden, als sie die Flucht antrat. Dank meiner längeren Beine und des Adrenalinschubs, den die schiere Wut in mir auslöste, legte ich die fünfzehn Meter in Rekordzeit zurück und holte Rae noch vor der Eingangstür ein.
Sie hielt sich am Türgriff fest, als ich den rechten Arm eisern um ihre Taille legte. Ich hob sie hoch und löste ihre Finger vom Griff. Dann warf ich sie auf das kleine Rasenstück vor dem Gebäude, das in Beton eingefasst war und mit Sitzbank und Wippschaukel eine Art Spielplatz darstellen sollte. Das Protokoll unserer Auseinandersetzung:
Isabel: Du bist tot.
[Ich drückte Raes Arme und Beine nach unten, während sie wild um sich schlug.]
Rae: Du hast mir keine andere Wahl gelassen.
Isabel: Du bist mausetot.
Rae: Ich hab es deinetwegen getan.
Isabel: Tot. Verstehst du?
Rae: Ich liebe dich!
Isabel: Lass das!
Rae: Der Zweck heiligt die Mittel.
Isabel: Wenn ich dich töte, heiligt der Zweck auch die Mittel.
Rae: Lass mich los.
Isabel: Niemals.
Rae: Bitte.
Isabel: Wir schicken dich ins Lager zurück.
Rae: Lass uns verhandeln.
Isabel: Und dann ins Internat.
Rae: Du tust mir weh!
Isabel: Mit den Froot Loops ist es ab sofort vorbei ...
Rae: Aua!
Isabel: ... den Rice-Krispie-Riegeln ...
Rae: Hilfe!
Isabel: ... den Schokoküssen ...
Rae: Aufhören!
Isabel: Du wirst dich nur noch makrobiotisch ernähren.
[Raes körperlicher Widerstand erlahmte schlagartig.]
Rae: Okay, ich ergebe mich.
Ich ließ sie los und rollte zur Seite. Rae nutzte die Gelegenheit für einen weiteren Fluchtversuch. Da packte ich sie am Fuß und warf sie wieder auf den Rasen. Ich versuchte, sie wie zuvor an Armen und Beinen niederzudrücken, aber sie setzte sich so heftig zur Wehr, dass sie mir hin und wieder sogar ins Gesicht schlug, was meinen Zorn umso mehr schürte. Ich drehte sie auf den Bauch und bog ihre Arme nach hinten.
Isabel: Du entkommst mir nicht.
[Gerade als ich Rae gebändigt hatte, traten zwei Polizisten in meinem Rücken auf mich zu und zerrten mich weg.]
Polizist 1: Ma’am, beruhigen Sie sich bitte.
Isabel: Du hast jetzt ausgespielt.
Rea: An meiner Stelle hättest du das Gleiche getan.
Isabel: Hast du sie noch alle? Ist dir klar, was wir deinetwegen durchgemacht haben? Du bist tot.
[Ich versuchte, mich dem festen Griff von Polizist 1 zu entwinden.]
Polizist 2: Ma’am, wenn Sie sich jetzt nicht zusammenreißen, müssen wir Ihnen Handschellen anlegen und Sie abführen.
Isabel: Legen Sie der da Handschellen an. Sie gehört hinter Gitter.
Polizist 1: Ma’am, ich fordere Sie ein letztes Mal auf, sich zu beruhigen.
Rea: Es tut mir leid.
Isabel: Es wird dir noch viel mehr leidtun, wenn Mom und Dad erst davon erfahren.
Polizist 1: Sind Sie beide verwandt?
Isabel: Nicht mehr lange.
Rea: Sie ist meine Schwester. Lassen Sie sie bitte los!
Polizist 2: Erst wenn sie sich wieder unter Kontrolle hat.
Isabel: Ich werde dich nicht bloß töten, nein, zuerst werde ich dich foltern.
Polizist 2: Hören Sie auf, Ma’am, sonst können wir Sie nicht laufenlassen.
Isabel: Am besten schaffst du dir auch hinten ein paar Augen an, Rae.
Polizist 1: Ma’am, das war die letzte Warnung.
[Zum zweiten Mal in zwei Tagen bekam ich das eisige Metall von Handschellen zu spüren – und das, obwohl ich nicht mal ein Milligramm Marihuana bei mir trug. Einer der beiden Polizisten schleuderte mich gegen den Kofferraum des Streifenwagens,
Weitere Kostenlose Bücher