Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Potasche, zückte eine Zwanzig-Dollar-Note und deponierte sie am Tischrand. Dann wandte er sich wieder seinem Schriftsatz zu.
»Na dann ... vielen Dank«, sagte ich, nachdem ich den Schein an mich genommen hatte. »Ich zahl jeden Cent zurück«, nuschelteich noch, während ich die Tür ansteuerte. Ich war schon halb draußen, als David zum finalen Schlag ausholte.
»Pass auf, dass ich dich nie wieder in solch einem Zustand erlebe.« Er sprach langsam und bedächtig. Als guter Ratschlag war das nicht gemeint.
Dann forderte er mich zum Gehen auf. Und ich ging. In diesem Moment wurde mir klar, dass die Rolle des Goldjungen mit den dunklen Locken, die David als Gegenpart zu mir, der mausbraunen Versagerin, übernommen hatte, alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen sein dürfte, auch wenn ich es mir immer so ausgemalt hatte. Während ich aus Jux und Tollerei die Nachbarn nervte, versagte sich David diese Späße. Zerstörung und Rebellion sind ganz natürliche Phasen, wenn man heranwächst. Doch weil David ständig hinter mir herräumen und meine Fehler ausgleichen musste, blieben ihm diese entscheidenden Initiationsriten verwehrt. Stattdessen wurde er zum Musterknaben. Und sein einziger Makel war, dass er nicht wusste, wie Unvollkommenheit funktioniert.
Meiner Überzeugung nach sind wundersame Veränderungen – die Art von Veränderung, die scheinbar nur ein Prediger vollbringt, der dir tüchtig auf den Kopf haut – selten, so selten, dass sie meist Verdacht erregen, wenn sie denn eintreffen. Und obwohl man die Veränderung, die in mir vorgegangen war, nicht gerade als Wunder bezeichnen kann, so war sie doch nicht zu übersehen. Zwar kam es durchaus noch vor, dass ich ein zerknittertes Hemd trug oder einen über den Durst trank oder eine unpassende Bemerkung fallenließ, aber nie wieder stiftete ich ein Chaos, das von anderen bereinigt werden musste. Das gewöhnte ich mir von heute auf morgen ab.
Zunächst schlug der geläuterten, quasi-verantwortungsbewussten Isabel eine solche Welle des Misstrauens entgegen, dass sie beinahe rückfällig geworden wäre. Meine Mutter glaubte an einen ganz besonders üblen Trick meinerseits und hinterfragte meine Beweggründe mit geradezu naturwissenschaftlicherGründlichkeit und Skepsis. Mindestens zwei Wochen lang fragte mein Vater pausenlos: »Sag schon, Isabel, was brütest du aus?« Onkel Ray hingegen schien ernsthaft besorgt zu sein, er regte sogar an, mir zur Heilung Vitamine zu verabreichen. Und so erregte die neue Isabel in den ersten Wochen mehr Unmut als die alte. Doch ich wusste, dass ich mit der Zeit das Vertrauen meiner Angehörigen gewinnen würde – und als es schließlich so weit war, spürte ich förmlich die Luft, die beim kollektiven Aufatmen aus ihren Lungen drang.
Die Befragung
Teil 2
Die Mythen, die sich um unseren Beruf ranken, lassen sich nicht abschütteln. Die Legende vom Schnüffler auf Gummisohlen geistert seit Jahrzehnten durch unseren Kulturkreis, dabei beruhen die wenigsten Mythen auf echten Tatsachen. Privatdetektive lösen in Wahrheit nämlich keine Fälle. Wir untersuchen sie. Wir binden ein paar lose Fäden zusammen, fördern vielleicht die eine oder andere Überraschung zutage. Wir liefern Beweise für Erkenntnisse, die längst gewonnen sind.
Inspektor Stone hingegen ist zuständig für die Lösung mysteriöser Fälle. Fälle, die zwar nicht so sauber konstruiert sind wie in Kriminalromanen, aber dennoch viele Fragen aufwerfen.
Zur Vermeidung jeglichen Blickkontakts sieht er seine Notizen durch. Ich frage mich, ob er das nur bei mir macht oder bei allen, um sich gegen den Schmerz der anderen zu wappnen.
»Wann haben Sie Ihre Schwester zum letzten Mal gesehen?«, fragt Stone.
»Vor vier Tagen.«
»In welcher Verfassung war sie? Worüber haben Sie beide miteinander gesprochen?«
Ich kann mich zwar an alles erinnern, aber es kommt mir so belanglos vor. Er stellt die falschen Fragen.
»Haben Sie eine Spur?«, frage ich.
»Wir gehen jedem Hinweis nach«, antwortet Stone. Der Standardspruch der Polizei.
»Haben Sie mit den Snows gesprochen?«
»Wir gehen nicht davon aus, dass sie mit der Sache zu tun haben.«
»Sollte man da nicht trotzdem mal nachforschen?«
»Bitte beantworten Sie meine Frage, Isabel.«
»Warum beantworten Sie nicht meine? Meine Schwester ist jetzt seit drei Tagen verschwunden, und Sie haben immer noch keine Spur.«
»Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Aber Sie müssen uns schon helfen. Sie müssen
Weitere Kostenlose Bücher