Little Miss Undercover - Ein Familienroman
über alle Männer getroffen hat, mit denen ich seit meinem einundzwanzigsten Lebensjahr zusammen war.
»Auf diese Diskussion lasse ich mich nicht mehr ein, Milo.«
»Musst du wissen«, sagt er.
Manchmal habe ich das Gefühl, gar nichts zu wissen.Am nächsten Morgen sitze ich im Spellman-Büro und tippe den Bericht einer Observation, die wir Anfang der Woche vorgenommen hatten. Meine Mutter wartet auf Jake Hand, einen vierundzwanzig Jahre alten Hipster, Gitarristen und Sexshopverkäufer, den wir gelegentlich beschäftigen, wenn wir ausgebucht sind. Dad und Onkel Ray sind wegen eines Auftrags in Palo Alto. Schlag acht Uhr schneit Jake in voller Tattoo-Pracht herein. Er wirkt auffallend beschwingt.
»Lady Spell, werfen Sie doch mal ’nen Blick auf die Uhr.«
Meine Mutter schaut auf unseren riesigen Zeitmesser, der jedem Klassenzimmer zur Ehre gereichen würde. Sie sagt: »Auf die Minute. Dafür könnte ich dich küssen.«
Jake nimmt Mom beim Wort und streckt ihr seine Wange hin. Nachdem sie ihm ein flüchtiges Küsschen verabreicht hat, schnuppert sie.
»Hast du etwa geduscht, Jake?«
»Extra für Sie, Lady Spell.«
Jake ist heimlich in meine Mutter verliebt, was sich vor allem in gesteigerter Körperpflege äußert. Eigentlich sind fast alle Männer aus ihrem Bekanntenkreis in sie verliebt. Moms blaue Augen und ihr Porzellanteint bilden den denkbar reizvollsten Kontrast zu ihren langen, kastanienbraunen Haaren (inzwischen stammt das Kastanienbraun allerdings aus der Tube). Allein die Augenfältchen geben ihr Alter preis. Jake sieht ohnehin keinen Makel, trotz der dreißig Jahre Altersunterschied, während Mom den Luxus eines wahrhaft ergebenen Mitarbeiters genießt. Oft frage ich mich, welche Wendung ihre Gespräche nehmen, nachdem sie acht Stunden gemeinsam im Auto verbracht haben.
»Isabel, wenn du mit diesem Bericht fertig bist, möchte ich, dass du deinem Bruder die Hölle heißmachst«, sagt meine Mutter beiläufig, während sie ihre Ausrüstung zusammenpackt.
»Weswegen denn?«
»Wegen der zwanzig Riesen, die seine Firma uns noch schuldet, der Fall Kramer.«
»Da wird er sich doch wie immer herausreden. Wir werden erst dann bezahlt, wenn seine Firma bezahlt wurde.«
»Das ist jetzt drei Monate her. Sechshundert haben wir vorstrecken müssen, ohne dass uns die Kosten erstattet wurden. Und ich kann unsere Rechnungen nicht mehr begleichen.«
Wenn mein Vater mir den Gehaltsscheck überreicht (und es gerade mal nicht eilig hat), erinnert er mich nur zu gern daran, dass man als Privatdetektiv nicht reich werden kann. Tatsächlich wird der Privatdetektiv zuletzt bezahlt. Ein Unternehmer muss seine Miete zahlen können, Büromaterial und Energiekosten, um zu überleben; ein Privatdetektiv fällt da nicht so schwer ins Gewicht. Auch wenn meine Eltern mit der Detektei durchaus ihren Lebensunterhalt bestreiten können, haben wir öfter Liquiditätsprobleme – vor allem, wenn wir von David beauftragt werden.
»Du solltest mit ihm sprechen. Du bist seine Mutter«, sage ich. »Du kannst dir seinen Schuldkomplex zunutze machen.«
»Bei deinem Bruder bewirkt Gewalt mehr als jedes Schuldgefühl. Pack ihn ruhig hart an, wenn es sein muss. Aber verlass sein Büro erst, wenn du einen Scheck in Händen hältst.«
Mom zieht den Reißverschluss an ihrer Tasche zu und stürmt zur Tür, mit Jake im Schlepptau. Auf der Schwelle dreht sie sich zu mir um: »Und vergiss nicht, David von mir zu küssen.«
Gegen dreizehn Uhr fahre ich zu David ins Büro, in der Hoffnung, er würde mich vielleicht zum Mittagessen einladen. Seine Sekretärin Linda, die eher un-heimlich in ihn verliebt ist, begrüßt mich mit der Nachricht, dass meine Schwester bereits eingetroffen sei. Wie alle Sekretärinnen, die David bisher hatte, hofft auch Linda, dass er ihre Gefühle eines Tages erwidern wird. Doch wie so viele andere Alpha-Männchen ist mein Bruder der Meinung, Monogamie komme erst zwischen dem vierzigsten Lebensjahr und dem Rentenalter in Frage. Sollte David tatsächlich auch nur einen einzigen Makel haben, dann diesen. Er ist der geborene Herzensbrecher. Ein Herzensbrecher, der keine Reue kennt.
Ich stürme in Davids Büro. »Was hast du hier verloren?«, frage ich mit einem argwöhnischen Blick auf Rae.
»Ich darf wohl meinen Bruder besuchen«, erwidert sie ungerührt.
»Warum bist du nicht in der Schule?«
»Heute ist nur halbtags Unterricht.« Sie verdreht die Augen.
»Beweise es ihr«, sagt David.
Rae reicht mir ein
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