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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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beginnt ganz gemütlich mit der Zubereitung von Schoko-Chips-Pfannkuchen.
    Auch wenn meine Dachgeschosswohnung mit einer voll funktionsfähigen Küche ausgestattet ist, gehe ich fast jeden Morgen runter, trinke meinen Eltern den Kaffee weg und lese deren Zeitung. Mir fällt auf, dass Rae es alles andere als eilig zu haben scheint.
    »Rae, es ist schon fünf vor halb neun.«
    »Ich weiß.«
    »Um halb neun beginnt die Schule, oder?«
    »Heute komme ich zu spät«, erklärt sie gelassen und gibt den Teig auf die gusseiserne Platte.
M ITTWOCH
    Um zehn nach acht betrete ich die Küche. Rae schenkt mir eine Tasse Kaffee ein und reicht mir die Zeitung.
    »Lies schnell«, sagt sie. »Du fährst mich zur Schule.«
    »Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen, Rae?«
    »Nein.« Sie beißt in einen Apfel.
    Das letzte Mal, dass ich Rae so etwas wie einen Apfel essen sah, handelte es sich um Mus, das gläschenweise verkauft wird; auf solchen Gläschen prangt das Bild eines Babys. Frisches Obst ist prinzipiell kein Baustein in ihrem Ernährungsplan, der sich vor allem aus Eiscreme, Schokoriegeln, Käse-Chips, Käse-Kräckern und Käse-Flips und gelegentlich etwas Beef Jerky zusammensetzt. Ich bin froh zu erleben, wie Rae etwas zu sich nimmt, das tatsächlich von einem Baum gefallen ist. So froh, dass ich nicht widerspreche, als sie sich ihren Rucksack schnappt und ankündigt, sie würde in meinem Auto warten.
D ONNERSTAG
    Es ist Viertel vor acht. Dad brüllt von unten: »Rae, soll ich dich jetzt wirklich zur Schule fahren?«
    »Ja!«, schreit sie aus einiger Entfernung.
    »Dann beeil dich«, bellt unser Vater.
    Rae stürzt zur Treppe, springt aufs Geländer und gleitet nach unten. Als sie und Dad das Haus verlassen, sagt er: »Ich hatte dir doch gesagt, du sollst das lassen.«
    »Du hast aber auch gesagt, ich soll mich beeilen.«
    Dad wirft Rae ein Pop Tart zu, bevor sie ins Auto steigen.
F REITAG
    Um fünf nach acht komme ich in die Küche. Rae sitzt am Tisch, sie trinkt ein Glas Milch (auch das ist neu) und isst ein Sandwich mit Erdnussbutter und Banane.
    »Wie kommst du heute zur Schule?«, frage ich und bete, dass sie mich nicht wieder nötigt, sie zu fahren.
    »David bringt mich.«
    »Wie hast du das denn hingekriegt?«
    »Das haben wir ausgehandelt.«
    Keine weiteren Fragen. Ich gieße mir eine Tasse Kaffee ein und setze mich ebenfalls an den Tisch.
    »Das machst du jetzt schon fünf Tage in Folge, Isabel. Trinkst Kaffee und liest Zeitung.«
    »Mich entführt niemand, Rae.«
    »Das dachten alle Entführten.«
    Mein Beweismaterial
    Die Daten, die ich hier zusammentrage, sammle ich auf verschiedenen Wegen: unmittelbar durch Abschöpfung der Ziel- oder Kontaktpersonen, mittelbar durch Observation, Tonaufnahmen, Befragungen, Fotografien; auch durch Mithören, wenn sich dazu Gelegenheit bietet.
    Ich behaupte ja nicht, dass dieses Beweismaterial über jeden Zweifel erhaben ist. Die Dokumentation, die ich hier vorlege, habe ich allein erstellt. Auf den Wahrheitsgehalt jeder einzelnen Tatsache ist Verlass. Aber natürlich wird der Ausschnitt jedes einzelnen Bildes von mir selbst bestimmt. Und so gibt es zahllose andere denkbare Ausschnitte.
    Inspektor Stone ist der Meinung, dass das Vergangene keine Rolle spielt, dass meine Schnitzeljagd zu nichts führen wird. Doch er täuscht sich. Es reicht nicht, zu wissen, was meiner Familie zugestoßen ist. Ich muss verstehen, wie es dazu kommen konnte. Vielleicht kann ich mich dann selbst davon überzeugen, dass es auch jeder anderen Familie hätte zustoßen können.
V OR EINEM J AHR UND ACHT M ONATEN
    Ein Jahr und acht Monate vor dem Verschwinden meiner Schwester – es ist die dritte Maiwoche, und ich bin seit drei Monaten mit Ex-Freund Nr. 6 zusammen. Name: Sean Ryan. Beruf: Barmann im Red Room, einer semi-hippen Kneipe in Nob Hill. Hobby: Debütroman verfassen. Leider war das nicht sein einziges Hobby. Aber dazu komme ich noch.
    Seit fünf Tagen beobachten meine Mutter und ich Mason Warner, einen achtunddreißig Jahre alten Gastronomen, der in North Beach ein gutgehendes Bistro betreibt. Angeheuert wurden wir von einem seiner Teilhaber; er hat den Verdacht, Mason wirtschafte in die eigene Tasche. Eigentlich ein Fall für den Buchprüfer, aber unser Klient möchte kein Aufsehen erregen. Warner hat die androgyne Attraktivität zeitgenössischer Hollywood-Stars und trägt schicke Anzüge. Deshalb ist Mom von seiner Unschuld überzeugt. Mir gefällt dieser Job, weil Warner fast den ganzen Tag

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