Little Miss Undercover - Ein Familienroman
unterwegs ist und ich nicht acht Stunden im Auto festsitze und mir von Mom anhören muss: »So einer wär für dich genau das Richtige.«
Ich folge Warner in ein Bürohaus an der Sansome Street. Dank Baseballkappe und Sonnenbrille wage ich mich auch in den Lift, ich will sehen, wo es hingeht. Zum Glück ist der Lift knallvoll. Ich gehe als Erste rein und drücke auf die Zwölf (das Gebäude hat zwölf Stockwerke), dann verziehe ich mich in die hinterste Ecke. Warner steigt im siebten Stock aus. Ich folge ihm, lege Baseballkappe und Sonnenbrille ab und halte Abstand, bis er um die Ecke gebogen ist. Er betritt die Praxis einer Psychoanalytikerin: Dr. Katherine Schoenberg. Ich kehre nach unten zurück und warte in der Eingangshalle. Dort schalte ich mein Sprechfunkgerät wieder ein, um Mom mitzuteilen, dass uns eine Wartezeit von etwa fünfzig Minuten bevorsteht. Sie will sich einen Kaffee holen. Ich lasse mich auf eine lederbezogene Sitzbank nieder, um Zeitung zu lesen. Fünf Minuten später taucht Warner unten auf, er bewegt sich auf den Ausgang zu.
»Zielperson unterwegs«, teile ich über Funk mit.
»Übernimm du, ich bin noch im Coffeeshop«, sagt Mom.
Normalerweise würden wir Warner einen großzügigen Vorsprung gewähren, da Mom die Beschattung mit dem Auto vornimmt. Ohne ihre Unterstützung darf ich die Zielperson jedoch nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Ich lege die Zeitung weg und folge Warner zur Tür hinaus. Kaum dass ich draußen bin, dreht er sich jedoch um und läuft direkt auf mich zu. Ich wühle in meiner Tasche nach einer Packung Zigaretten. Zwar habe ich schon vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört, aber in unserem Gewerbe zählen Zigaretten zu den wichtigsten Requisiten. Während ich meine Taschen nach Streichhölzern abklopfe, stellt er sich vor mich und gibt mir Feuer.
»Hören Sie auf, mir nachzulaufen«, sagt er mit einem charmanten Lächeln, um dann lässig davonzuschlendern.
Ich hätte es mir denken können: Solche Männer legen sich nicht auf die Couch.
Am selben Abend sitzen Ex-Freund Nr. 6 und ich im Philosopher’s Club, einer Altmännerbar in West Portal. Für eine Kaschemme ist es dort zu sauber, aber die Holztäfelung und die uralten Sportplakate verweisen immerhin darauf, dass man sich nicht in einen dieser neuen Clubs verlaufen hat, in denen die Schickeria San Franciscos verkehrt. Mir war das Schild mit dem Martiniglas und der Aufschrift »Philosopher’s Club« früher einmal aufgefallen, als ich mit Petra in der L-Tram saß, da fuhren wir gerade von ihrer Geburtstagsfeier zurück 4 . Das Schild lockte uns irgendwie in diese Bar, wo wir dann den Rest der Nacht verbrachten, vor allem, weil Milo, der Barmann, uns pausenlos mit Schälchen voller Erdnüsse und Popcorn versorgte. Das war sechs Jahre vor diesem Abend mit Ex-Freund Nr. 6. Heute ist es sieben Jahre her. So lange bin ich dort schon Stammgast. Doch Ex-Freund Nr. 6 ließ sich nur deswegen hinschleppen, weil ich beim Münzwerfen gewonnen hatte.
»Wie war dein Tag?«, fragt Ex-Freund Nr. 6.
»Hab mich verbrannt.«
»Heißt das, du wurdest bei einer Beschattung enttarnt?« Wie gern er mit seinem Fachwissen protzt.
»So ungefähr.«
»Du hast mir doch erzählt, du wirst nie enttarnt.«
»So gut wie nie.« Sicher sagte ich, so gut wie nie .
Milo kommt, um mir Whiskey nachzuschenken. Damals war er etwa Mitte fünfzig, heute ist er Anfang sechzig (für alle Mathe-Muffel). Ein männlicher Italo-Amerikaner, etwa 1,78 Meter groß, mit schütterem braunem Haar, von grauen Strähnen durchzogen. Immer trägt er eine Hose mit Bügelfalten, ein kurzärmliges Oxford-Hemd und eine Schürze. Dazu stets das neueste Sportschuhmodell, das seinem Outfit den einzigen Anstrich von Modernität verleiht. Man könnte annehmen, meine Beziehung zu Milo sei nur sehr oberflächlich. Das Gegenteil ist der Fall. Diesen Mann habe ich in den letzten sieben Jahren mindestens zwei Mal pro Woche gesehen. Er zählt zu meinen engsten Freunden.
Ex Nr. 6 trommelt leicht auf den Tresen und weist auf sein Glas. Milo starrt ihn ungeniert an, während er ihm im Schneckentempo nachschenkt. Ex Nr. 6 blättert ihm ein paar Scheine hin und knurrt ein Danke.
»Muss mal austreten«, erklärt Ex Nr. 6 und geht in den hinteren Barbereich. Milo blickt ihm hinterher; als er sich wieder mir zuwendet, weicht das gekünstelte Lächeln von seinen Lippen.
»Mit dem Typen stimmt was nicht«, sagt Milo. Ich schenke dem keine Beachtung, da Milo dieses Urteil bisher
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