Little Miss Undercover - Ein Familienroman
zerknittertes Blatt Papier – eine offizielle Benachrichtigung. Natürlich hat sie damit gerechnet, dass David einen Nachweis verlangen würde. Ich habe nie mitbekommen, dass Rae die Schule geschwänzt hätte. Da wir aber blutsverwandt sind, drängt sich der Verdacht naturgemäß auf.
»Alles klar. Ich mach mich vom Acker. Wir sehen uns nächsten Freitag, David. Bis nachher, Isabel.«
Als Rae gegangen ist, verlange ich von David eine Erklärung. »Was ist mit nächstem Freitag?«
»Sie kommt jeden Freitag vorbei«, erklärt er.
»Warum?«
»Einfach so ... meistens jedenfalls.«
»Und sonst?«
»Na ja, oft will sie einfach Taschengeld.«
»Mom und Dad zahlen ihr zehn Kröten die Stunde, wenn Rae für sie arbeitet. Sie braucht dein Geld nicht, David. Wie lange geht das schon so?«
»Fast ein Jahr.«
»Du gibst ihr jede Woche Geld?«
»Mehr oder weniger, ja.«
»Wie viel?«
»Normalerweise zehn Dollar. Manchmal auch zwanzig, aber ich versuche, freitags möglichst kleine Scheine parat zu haben.«
»Das heißt, du hast ihr dieses Jahr fünfhundert Eier rüberwachsen lassen?«
»Kannst du nicht Dollar sagen, wie jeder andere auch?«
»Mach dich nicht lächerlich.«
»Warum bist du eigentlich hier, Isabel?« David versucht, das Thema zu wechseln.
»Wegen Geld.«
»Verstehe.« Er grinst, die Ironie ist ihm nicht entgangen. »Du treibst ein.«
»Ich darf dir den einen oder anderen Finger brechen und ein paar Rippen anknacksen, sagt Mom, nur deine hübsche Fresse soll ich schonen. Zwanzig Riesen, David. Her damit!«
»Du kennst doch unsere Geschäftsordnung: Wir zahlen, wenn der Klient gezahlt hat. Ich kann dir privat einen Scheck ausstellen.«
»Das würde Mom nicht akzeptieren.«
»Dann weiß ich auch nicht weiter, Isabel.«
Dabei bin ich noch lange nicht mit ihm fertig. Ich pflanze mich auf Davids Bürocouch und mache ihm klar, dass ich erst dann gehe, wenn ich einen seiner Vorgesetzten sprechen konnte. Stöhnend verlässt David den Raum; zehn Minuten später kommt er mit Jim Hunter zurück. Hunter ist seit fünf Jahren Partner bei Fincher, Grayson & Co und auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisiert: zweiundvierzig Jahre alt, geschieden, in guter körperlicher Verfassung, mit einem jungenhaften Haarschnitt und der verstörenden Angewohnheit, seinem Gegenüber direkt in die Augen zu sehen. Da ich mich ohne Bares nicht nach Hause wagen kann, muss ich seinem Blick wohl oder übel standhalten.
Mein Einschüchterungsversuch scheint nicht erfolglos zu bleiben: Hunter erklärt, die Buchhaltung würde mir gleich einen Scheck über tausend Dollar ausstellen.
»Unter einer Bedingung«, sagt er. »Ich darf Sie nächsten Freitag zum Abendessen einladen.«
Derart überrumpelt, sage ich zu. Tue ich es nicht, bekomme ich diese Woche kein Geld – und falls Mom erfährt, dass ich einem Anwalt die kalte Schulter gezeigt und zehn Riesen ausgeschlagen habe, wird sie es mir nie verzeihen.
»Um acht hole ich Sie ab.« Hunter verlässt den Raum.
David unterdrückt ein Lächeln. Natürlich steckt er hinter dem Ganzen.
»Bist du jetzt unter die Zuhälter gegangen?«, frage ich.
Während ich David ausquetsche, wehrt meine Mutter Jakes Flirtversuche ab. Sie sitzen beide im Auto, vor Mason Warners Bistro.
»Lady Spell, waren Sie schon immer so umwerfend?«
»Lass den Unsinn, Jake!«
Warner ist auf dem Sprung. Er steigt in seinen Lexus und fährt die Larkin Street entlang. An der Ecke Larkin und Geary stellt er das Auto ab, bevor er das New Century Theatre betritt, einen Striptease-Schuppen. Als Warner hineingegangen ist, löst Jake den Sicherheitsgurt und sieht meine Mutter erwartungsvoll an.
»Träum weiter«, sagt sie, löst ihren Gurt und springt aus dem Bus.
Im New Century bestellt sie Club Soda. Von ihrer Nische aus beobachtet sie Warner, der dem Bühnengeschehen nicht die geringste Beachtung schenkt. Er studiert Unterlagen, die ihm ein grauhaariger Mann in schwarzem Rolli und Designerjeans überreicht hat. Vor einem opulenten Hintergrund aus braunem Samt sind hie und da ein paar Gäste zu sehen.
Bald wird meine Mutter auf einen anderen Mann als Warner aufmerksam. In der ersten Reihe sitzt nämlich Sean Ryan, (künftiger) Ex-Freund Nr. 6, und starrt die rostrothaarige Stripperin mit geradezu fanatischer Inbrunst an. Meine Mutter hat schon einiges erlebt, und so schockiert es sie nicht, ihren Quasi-Schwiegersohn in einem Striplokal anzutreffen. Schockiert ist sie erst, als sie merkt, dass die gesamte Belegschaft
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