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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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eine echte Lektion zu lernen, und so halte ich vorerst meine Zunge im Zaum.
    Jetzt sind Stimmen zu hören. Als ich um die Ecke luge, sehe ich Rae und ihre Zielperson im Schatten eines noch im Baubefindlichen Bürohauses stehen. Der Tätowierte lehnt an der roten Backsteinmauer und hält Rae mit beiden Armen fest.
    »Na, Süße, was treibst du dich hier rum?«, raunt der Typ ihr zu.
    »Vertrete mir nur ein bisschen die Beine«, sagt Rae.
    »Um diese Uhrzeit?«
    »Ich wollte einfach frische Luft schnappen.«
    »Weißt du, was ich glaube?«, sagt er.
    »Woher denn?«
    »Ich glaube, du bist mir gefolgt.«
    »Bin ich nicht«, zischt Rae. Sie verliert die Nerven.
    »Stehst wohl auf große Jungs, was?«
    »Nein, tue ich nicht. Bestimmt nicht.«
    »Ich kann dir ein paar dolle Dinge zeigen.«
    »Izzy? Hilfst du mir jetzt bitte?«, schreit Rae.
    Ich ziehe mein Messer aus der Tasche und lasse die Klinge aufschnappen. Der Tätowierte erkennt den Klang sofort. Als ich hinter der Hausecke hervortrete, dreht er sich zu mir um.
    »Nimm die Finger von meiner Schwester«, sage ich betont ruhig. Dabei beschwöre ich insgeheim den Geist von Lee Van Cleef.
    »Entspannt euch, Ladies, ich hab genug Saft für alle.«
    Ich zücke mein Handy und tu so, als würde ich den Notruf wählen. »Im Knast wirst du mit diesem Satz bestimmt viele Treffer landen.«
    Die Aussicht behagt dem Tätowierten offenbar wenig, er macht sich vom Acker, doch zuvor zwinkert er Rae noch einmal anzüglich zu:
    »Man sieht sich, Süße.«
    Ich blicke ihm hinterher, bis er am Ende der Straße in einer Seitengasse verschwindet. Dann drücke ich Rae gegen die Mauer und erinnere sie an unsere Abmachung.
    »Ich hatte mich bereit erklärt, in meiner Freizeit weniger Beschattungen durchzuführen. Von völliger Aufgabe war nie die Rede.«
    »Du treibst dich nachts im Rotlichtviertel herum, obwohl du längst zu Hause sein solltest. Und du bist erst vierzehn, hast du das vergessen?«
    »In Begleitung von Angehörigen habe ich länger Ausgang. Du warst ja bei mir, darum hab ich mir nichts dabei gedacht.«
    »Wann hast du mich gesehen?«
    »Beim Buchladen. Ohne dich wär ich ihm nie gefolgt.«
    Wortlos schüttle ich den Kopf. Ich packe Rae am Arm und ziehe sie hinter mir her. »Jetzt erst mal ab nach Hause. Und dann sehen wir weiter.«
    Stumm gehen wir die Polk Street entlang, bis Rae erwartungsgemäß ihr Schweigen bricht.
    »Hast du gesehen, wie der gezwinkert hat?«, fragt sie.
    »Ja.«
    »So was kann ich nicht leiden.«
    »Ich weiß. Aber so leicht kommst du mir nicht davon. Ich hoffe, das ist dir klar«, sage ich.
    »Wollen wir verhandeln?«
    »Da lässt sich leider nichts mehr verhandeln.«
    Noch am selben Abend klärten meine Eltern – als Tag-Team – Rae im Vernehmungszimmer über die Gefahren von Hobby-Observierungen auf, zwei ganze Stunden lang. So begabten Pessimisten darf man zutrauen, dass sie dabei keine Gefahr ausließen. Rae war gewarnt.
D ER Z AHNARZT -K RIEG
    Nach einer Weile gab Dad jeden Versuch auf, meinen atypischen Dresscode zu entschlüsseln. Nicht so Mom. Nach ihrer anfänglichen Taktik, unvermittelt Fragen zu stellen – »Ist das als Provokation gedacht?«, »Wer soll dir das abkaufen?« oder »Wann warst du das letzte Mal in ärztlicher Behandlung?« –, ging sie gezielter vor.
    Zunächst einmal ließ sie sich über meinen ursprünglichen Stil aus.
    »Zwanzig Jahre lang nichts als Jeans und Leder, Jeans und Leder, Jeans und Leder. Als hausten wir mit einem Mitglied der Hell’s Angels zusammen – vor allem bei deinem Mundwerk.«
    »Von einem Hell’s Angel hast du nie etwas erzählt«, sagte ich.
    »Wie oft habe ich dich gebeten, auch mal ein Kleid anzuziehen. Richtig gebettelt habe ich darum. Weißt du noch, als Tante Mary begraben wurde? Und jetzt trägst du nur noch Kleider und Röcke. Ich will wissen, warum.«
    »Aus keinem besonderen Grund, Mom. Nur der Abwechslung halber.«
    »Wie heißt er?« Nun drang sie zum Kern der Sache vor.
    Auf diese schon so oft gestellte Frage erhielt sie von mir die immergleiche Antwort: »John Smith«. Der Allerweltsname kam in Moms Ohren einer Kampfansage gleich. Dieses Geheimnis würde sie mir so leicht nicht entreißen.
    »Wie lange willst du das durchstehen, Isabel?«
    Damals kannte ich die Antwort nicht, aber mit der Zeit lösen sich die meisten Fragen auf. Die Antwort lautete: drei Monate.
    Doch während ich Daniel und meine Eltern zugleich hinters Licht führte, beschwerten noch andere Lügen die Äste

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