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Privatsekretärin und eine ganze Anzahl von Ingenieuren und Rechtsanwälten.« Sie hält inne und fügt dann hinzu: »Aus dieser Zeit erinnere ich mich einzig und allein an den Tag, an dem die Militärpolizei meinen Vater abgeholt hat.«
»Es gibt aber noch eine andere Gemeinsamkeit Ihres Vaters mit Favieros, Stefanakos und Vakirtsis: den Selbstmord.« Sie sagt nichts, wiegt nur schicksalsergeben den Kopf. »Wann hat sich Ihr Vater umgebracht?«
»Anfang der neunziger Jahre.«
»Und nun bringen sich nach und nach die übrigen Mitglieder der Widerstandsgruppe um.«
Sie blickt mich ungläubig an. »Was wollen Sie damit sagen?« fragt sie verdutzt. »Daß Jasons, Stefanakos’ und Vakirtsis’ Selbstmorde mit dem Freitod meines Vaters zu tun haben?«
»Das kann ich noch nicht beweisen, es ist aber auch nicht von der Hand zu weisen.«
»Zwischen dem Selbstmord meines Vaters und dem der anderen drei liegen mehr als zehn Jahre.«
»Ja, aber die Widerstandsgruppe hatte gut ein Dutzend Mitglieder. Außer den Selbstmördern haben wir noch zwei weitere ausfindig gemacht. Der eine ist eines natürlichen Todes gestorben, und der andere befindet sich im Ausland. Die übrigen kennen wir nicht. Vielleicht hat es mittlerweile noch weitere Selbstmorde gegeben, von denen wir nur noch nichts wissen.«
Sie stützt das Kinn in die Hände und schließt die Augen, als versuche sie längst verblichene Bilder in ihr Gedächtnis zurückzurufen.
»Mein Vater war ein sehr unglücklicher Mensch, Herr Kommissar.«
Das sagt sie ohne besonderen Nachdruck, aber mit fester Stimme, wie eine Tatsache, die nicht zur Diskussion steht. Dann schlägt sie die Augen wieder auf und blickt mich an.
»Politische Bewegungen und illegale politische Vereinigungen waren sein Lebensinhalt, sein ein und alles. Er unterhielt enge Beziehungen zu Castros Regime und ließ nichts auf Che Guevara kommen. Kurz vor dem von Che organisierten Aufstand in Bolivien sind wir von Bogota nach La Paz umgezogen. Als mein Vater aus Bolivien ausgewiesen wurde, sind wir nach Griechenland zurückgekehrt. Dann kam die Militärdiktatur, und er war wieder in seinem Element. Bis zum Tag seiner Festnahme.« Sie hält erneut inne und scheint ihre Gedanken zu ordnen. »Die Übergangsphase nach der Junta war sein Niedergang. Von einem Tag auf den anderen war er zu nichts mehr nütze. Keiner brauchte ihn mehr, und er hatte auch keinen Beruf gelernt, der ihm Halt geben und ein Auskommen sichern konnte. Er machte eine Reise nach Kuba, aber auch dort hatten sich die Verhältnisse geändert. Dann kehrte er zurück, und hier begann er seelisch dahinzusiechen. Nach dem Fall der sozialistischen Regime begriff er: Das war das Ende, das Leben hatte keinen Sinn mehr für ihn.«
Sie verstummt, vor innerer Anspannung ganz außer Atem. Was sie mir sagt, ist vollkommen logisch, enthält nichts Abwegiges oder Abgehobenes. Der Vergleich mit Sissis drängt sich auf. Der einzige Unterschied ist: Sissis hat im Gegensatz zu Jannelis durchgehalten – trotz seiner Verbitterung und seiner Wut, die immer wieder aus ihm herausbrechen.
»Mein Vater hat sich still und leise in seinem Zimmer erhängt, und er wurde erst drei Tage später gefunden. Er hat weder vor laufender Kamera noch auf seinem Landgut oder auf dem Syntagma-Platz Selbstmord begangen.«
Zum ersten Mal klingt so etwas wie ein Tadel an Jason Favieros und den anderen durch. Zum ersten Mal sind ihr das Lächeln und die Gelassenheit abhanden gekommen. Ihre Darstellung der Dinge wirkt logisch und vollkommen überzeugend. Aber waren die Dinge tatsächlich so? Wenn nun irgend etwas die Selbstmorde aus jüngster Zeit mit Jannelis’ Freitod verbände? Und wie viele andere Unbekannte, von denen wir folglich nicht einschätzen können, ob sie akut in Gefahr schweben, waren Mitglieder der Widerstandsgruppierung? Vielleicht waren – weiß der Geier – Minister, Regierungsfunktionäre und andere selbstgerechte Heuchler unter ihnen. Was sollten wir unternehmen? Sollten wir via Fernsehen und Presse verlautbaren lassen, alle ehemaligen Mitglieder der Gruppierung Che sollten sich bei der nächsten Polizeidienststelle melden?
»Wovon hat Ihr Vater gelebt?«
»Von seiner Rente als Widerstandskämpfer. Andere Einkünfte hatte er nicht.«
»Sie haben ihn nicht unterstützt?«
Sie verstummt einen Augenblick und fügt dann hinzu, ohne ihre Traurigkeit zu verbergen: »Mein Vater war sehr stolz. Er hat sich von niemandem helfen lassen.«
»Sie haben noch einen
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