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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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künftigen Auseinandersetzungen die Oberhand behalten wird. Er, indem er mir aufs Butterbrot schmiert, daß er mir meine Stelle gerettet hat, oder ich, indem ich ihm aufs Butterbrot schmiere, daß ich ihn von Janoutsos erlöst habe.
    Wir sind bei der Wohnungstür angelangt, als er mir – in einem einmaligen Anfall von Herzlichkeit – plötzlich freundschaftlich auf die Schulter klopft, statt mir formell die Hand zu reichen. »Kostas, Sie fehlen mir«, sagt er. »Sie fehlen mir sehr.«
    Gerne würde ich ihm sagen, daß ich ihn auch vermisse. Nur hat das nicht viel zu sagen, da ich – mit Ausnahme meines häuslichen Daseins – alles und jeden vermisse. Folglich ist auch er inbegriffen, nur geht er in der Masse der vermißten Dinge sang- und klanglos unter.
    »Ausgeschlossen!« ruft Adriani, als wir später mit Fanis am Tisch sitzen und gebratenes Ferkel in Zitronensoße mit Kartoffeln verspeisen. »Ausgeschlossen, daß du in deinem Zustand diese Rostlaube fährst!«
    Mit der Rostlaube ist nichts anderes als mein Mirafiori gemeint, der bislang allen Verschrottungsversuchen widerstanden hat und mittlerweile, in aller Bescheidenheit und ohne großes Tamtam, sein dreißigjähriges Dienstjubiläum feiert. Adriani hat zwar Koula geschluckt, die sie den ganzen Tag um sich herum haben wird, aber der Mirafiori als Nachtisch ist dann doch zuviel.
    »Ich werde ihn ja nicht fahren, sondern Koula«, sage ich beschwichtigend.
    »Ausgeschlossen!« begehrt sie erneut auf. »Ausgeschlossen, daß diese Rostlaube jemand anderer fährt als du.«
    »Da hat sie recht, das muß ich zugeben«, wirft Fanis amüsiert ein. »Warum kaufst du dir keinen neuen Wagen? Mit den Zahlungserleichterungen, die heutzutage gewährt werden, zahlst du die erste Rate frühestens in einem Jahr.«
    »Von meinem Mirafiori trenne ich mich nicht. Er hält schon noch durch.« Das sage ich im Brustton der Überzeugung, obgleich ich nicht mal sicher bin, daß er mir – nach zweimonatigem Tiefschlaf vor dem Wohnhaus – wieder anspringt.
    »Also gut!« ruft Adriani. »Aber wenn dir etwas zustößt, dann fahre ich zu meiner Tochter nach Thessaloniki, und dich kann Koula betreuen!« Entnervt schnippelt sie an dem Ferkel herum, als wollte sie mit den Stückchen ihr nicht vorhandenes Enkelkind füttern.

9
    fortsetzen = etw. Begonnenes wieder aufnehmen u. weiterführen; fortfahren, weitermachen, fortführen, weiterverfolgen, am Ball bleiben (ugs.), nicht beenden, Ggs. unterbrechen.
     
    Anfang = Beginn, Eröffnung, Anbruch, Ausbruch, Eintritt, Auftakt, Startschuß, erster Schritt; wehre/wehret den Anfängen! (geh.): etw. Schlechtes, das gerade entsteht, soll man sofort bekämpfen; einer unheilvollen Entwicklung soll man sofort entgegentreten; Müßiggang ist aller Laster Anfang: Wer nicht arbeitet, ist anfällig für schlechte Einflüsse.
     
    Eine Frage rumort mir die ganze Nacht im Kopf herum: Ist der Auftrag, den mir Gikas anvertraut hat, als Neubeginn oder als Fortsetzung meiner alten Arbeit zu werten? Formal gesehen bin ich, wiewohl krank geschrieben, nach wie vor der Leiter der Mordkommission. Gikas’ Auftrag bedeutet weder eine Wende noch einen Machtwechsel. Er läßt einfach weiterspielen, damit ich am Ball bleiben kann, wie es auch Dimitrakos ausdrücken würde. So, als wäre ich ein Finanzbeamter, der an den Nachmittagen Freunden die Buchhaltung führt, um sich mit dem heimlichen Zubrot den Urlaub zu finanzieren.
    Andererseits ist ganz und gar nicht sicher, ob ich Leiter der Mordkommission bleibe. Erstens, weil bei einem Selbstmord der Täter allseits bekannt ist und es folglich für mich nichts zu tun gibt. Zweitens und was viel schwerer wiegt: Selbst wenn mir das Unmögliche gelingt und ich aus Favieros’ Selbstmord ein paar Pluspunkte herausschinden kann, hat sich Janoutsos inzwischen dermaßen auf meinem Platz breitgemacht, daß er alle Hebel in Bewegung setzen wird, um meinen Bürostuhl mit dem abgeschabten Kunstleder an den Armstützen, unter dem der Schaumstoff hervorlugt, nicht wieder räumen zu müssen. Gikas’ Auftrag ist also womöglich kein Startschuß, sondern bloß eine Beschäftigungstherapie gegen Müßiggang, der ja bekanntlich aller Laster Anfang ist.
    Bis zum Morgen kann ich keine Antwort auf meine Frage finden und wache mit einem Brummschädel auf. Ich sehe keinen anderen Ausweg: Ich beschließe, die Mission – selbst bei meinen geringen Erfolgschancen – zu übernehmen, bevor mich Janoutsos vor vollendete Tatsachen

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