Live!
stellt.
Koula ruft an, als ich beim Kaffeetrinken bin, und informiert mich in verschlüsselter Form. »Das Paket bringe ich Ihnen morgen, Herr Charitos. Heute schaffe ich es leider nicht mehr. Ich muß noch ein paar Details klären.« Sie erinnert mich an meinen seligen Vater, der immer in Rätseln sprach, wenn es sich um Anweisungen von höchster Stelle handelte: »Auf persönlichen Befehl der Buschigen Augenbraue.« Damit meinte er Karamanlis, den auf diese Weise niemand erkennen sollte. Offensichtlich kann sie erst morgen zum Dienst antreten, ich werde also in der Zwischenzeit alleine loslegen. Ich darf keinen Tag vergeuden.
An der Haustür treffe ich Adriani, die gerade vom Supermarkt zurückkehrt.
»Du gehst aus?«
»Ja. Warte mit dem Essen nicht auf mich. Kann sein, daß es später wird.«
Als ich regelmäßig zur Arbeit ging, war diese Feststellung überflüssig. Ich kam nie zum Mittagessen nach Hause. Jetzt, wo ich nach fast dreimonatiger Unterbrechung wieder antrete, muß ich das ausdrücklich festhalten, um ihr zu verstehen zu geben, daß sich unser Alltag langsam wieder normalisiert.
»Alles klar, alles wieder beim alten«, meint sie und tritt ins Wohnhaus.
Ihr Ärger ist verständlich, da ich ihr kein Wort über die Bedrohung durch Janoutsos gesagt habe. Denn wenn ich es täte, würde sie sich vor Freude kaum halten können. Seit Jahren versucht sie mich davon zu überzeugen, mich lieber an eine ruhigere Dienststelle mit normalen Arbeitszeiten versetzen zu lassen. »Wieso sollst du dich abrackern? Du wirst ohnehin nicht befördert.« So lautet ihr unerschütterliches, für jeden vernünftig denkenden Menschen einsichtiges Argument.
Ich beschließe, Familie Favieros einen Hausbesuch abzustatten. Ich bin mir sicher, daß keiner der Kollegen daran gedacht hat, sie nach dem Selbstmord zu behelligen. Daher erscheint es mir richtig, dort anzufangen. Von den zugeschalteten Experten der Fernsehsender, die heutzutage ganze Enzyklopädien ersetzen, habe ich erfahren, daß die Familie Favieros in Porto Rafti wohnt. Ich versuche die schnellste Verbindung dorthin ausfindig zu machen. Obwohl ich mit dem Bus Gefahr laufe, erst am Nachmittag, zu Kaffee und Kuchen, einzutrudeln, habe ich nicht vor, aus eigener Tasche eine Taxifahrt zu bezahlen. Deshalb verknüpfe ich alle Arten von öffentlichen Verkehrsmitteln, über die Athen verfügt: Ich nehme den Trolleybus bis zum Syntagma-Platz, dann die U-Bahn bis zum Verteidigungsministerium und von dort den Fernbus nach Porto Rafti.
Eine halbe Stunde später fahre ich die Rolltreppe der U-Bahn hoch und verlasse das marmorne Mausoleum des Bahnhofs mit seinen künstlichen, in Granit gepflanzten Bäumen, den wohlklingenden Ansagen und der klassischen Tonbandmusik, was mir für zehn Minuten das Gefühl gegeben hat, ein Europäer zu sein. Oben liegt rechterhand das Verkehrsministerium, linkerhand das Verteidigungsministerium, und in der Mitte der Straße wartet an einer langen Reihe von Bushaltestellen ein Gewimmel von Menschen, jederzeit bereit, beim Erscheinen des Busses dem Nächsten gegen das Schienbein zu treten, um einen Sitzplatz zu ergattern. Zurück in Griechenland, seufze ich leise und atme erleichtert auf.
Mein Bus ist eine halbe Stunde verspätet, doch glücklicherweise brauche ich niemanden zu treten, da es sich um eine Überlandfahrt handelt und genügend Plätze frei bleiben. Die Dicke neben mir hält eine Plastiktüte zwischen ihre Beine geklemmt und auf dem Schoß eine riesige Tasche, die zur Hälfte auf meinen Knien ruht. Bis auf einen Stau zwischen der ERT , der Staatlichen Fernsehanstalt, und Stavros rollt der Verkehr normal dahin. Als wir uns Porto Rafti nähern, frage ich die Dicke, ob sie vielleicht wisse, wo Favieros’ Haus liegt. Plötzlich drängelt sich ein halbes Dutzend Männer und Frauen um mich, um mir die größte Sehenswürdigkeit der Gegend zu zeigen.
»Ruhe jetzt, der Mann hat ja schließlich mich gefragt«, gebietet die Dicke dem Treiben Einhalt, um ihre Rechte geltend zu machen. Sie wartet ab, bis wieder Ruhe eingekehrt ist, und wendet sich dann mir zu. »Sie steigen am besten bei Gegos aus«, meint sie.
»Was meinen Sie denn mit Gegos?« wundere ich mich.
»Den Supermarkt. Das ist der nächste Halt. Dann gehen Sie nach links in Richtung der Spyridon-Kirche. Auf halber Strecke liegt es dann auf der Anhöhe. Ein wahrer Palast mit einem riesigen Garten.« Sie beugt sich nach vorne und ruft dem Fahrer zu: »Prodromos, halt bei Gegos an
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