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schon recht gehabt: Schwere Augenlider deuten auf einen Dickschädel hin.«
Diese Methode der Charakteranalyse hat sie in der Tat von ihrer Mutter geerbt. So deuten, meiner Schwiegermutter gemäß, schwere Augenlider auf einen Trotzkopf hin, Schlitzaugen auf ein stilles Wasser, eine große spitze Nase auf einen Pfennigfuchser, während die Hakennase auf einen unersättlichen Sinnenmenschen schließen läßt. Diese Kategorien hat Adriani übernommen, obwohl ihre Mutter absolut nichts mit Lombroso zu schaffen hatte, dessen Thesen im Fach Kriminologie unterrichtet wurden.
»Was gibt’s denn?« frage ich nochmals und erhalte eine zweite Antwort ins Ohr gezischt.
»Geh rein und sieh selbst!«
Ich trete ins Wohnzimmer und erstarre zur Salzsäule. Er sitzt in dem Sessel, der schräg gegenüber vom Fernseher steht. Doch kaum erblickt er mich, springt er auf. Wir verharren reglos und blicken uns an. Er wartet darauf, daß ich den ersten Schritt tue, während ich nicht weiß, was ich sagen soll, denn es ist das erste Mal, daß Gikas mich zu Hause aufsucht. Ich starre ihn weiterhin baff an, während ich versuche, auf zwei Fragen gleichzeitig eine Antwort zu finden: Welcher Tatsache verdanke ich seinen sonntäglichen Besuch? Und wie soll ich ihn begrüßen? Soll ich mich auf eine förmliche Höflichkeitsfloskel beschränken, die sich vollkommen unterkühlt anhört, oder Begeisterung heucheln?
Schließlich greife ich zu einer neutralen Formulierung. »Schön, daß Sie doch mal vorbeischauen.« Darin lasse ich einen kleinen Tadel darüber mitschwingen, daß er mich überhaupt nicht an meinem Schmerzenslager besucht hat.
»Zunächst einmal bin ich hier, um mich wegen meines Verhaltens vorgestern in meinem Büro zu entschuldigen«, sagt er.
Jede Antwort würde verlogen klingen. Also bleibe ich lieber stumm. Zudem bildet sein »zunächst einmal« nur einen kleinen Vorgeschmack. Also warte ich besser ab.
Mein Schweigen zwingt ihn fortzufahren. »Janoutsos habe ich nicht gewollt, er wurde mir aufgedrängt«, meint er. »Ich konnte nichts dagegen tun, Vitamin B, Sie verstehen.«
»Aha, dadurch ist er also zur Antiterroreinheit gekommen.«
Er lacht auf. »Bei der Terrorismusbekämpfung wollte man ihn loswerden, und deshalb hat man ihn mir zugewiesen.«
Ich habe keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Alles, was er sagt, steht im Einklang mit Sotiropoulos’ telefonischer Aussage. Adriani kommt mit einer Tasse Kaffee auf dem Tablett aus der Küche. Sie stellt es auf das Tischchen neben ihm, entgegnet seinem Dank mit »Wohl bekomm’s!« und zieht sich zurück.
»Ich habe erfahren, daß Sie gestern in der Wohnung vorbeigeschaut haben, in der die beiden Kurden ermordet wurden.«
Er blickt mich an, und diesmal erwartet er eine Antwort. Ich zucke mit den Schultern. »Es war stärker als ich«, entgegne ich unbestimmt.
»Ich würde gerne Ihre Meinung hören.«
»So viel kann ich dazu auch nicht sagen, aber bestimmt ist es keine Auftragsarbeit der Mafia, wie Janoutsos behauptet. Sie wurden mit einem Spray betäubt und mit einer Kugel ins Auge getötet. Mafiosi hätten sie mit Blei vollgepumpt und wären abgehauen. Das aber sieht nach einer regelrechten Hinrichtung aus, das riecht man zehn Kilometer gegen den Wind. Das Ganze ist eine Aufgabe für die Abteilung für Terrorismusbekämpfung.«
»Janoutsos hält an dem Fall mit Zähnen und Klauen fest.« Gikas schüttelt unmerklich den Kopf und seufzt auf. »Diese Geschichte gefällt mir nicht, Kostas. Sie gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Welche Geschichte? Die mit den beiden Kurden?«
»Nein, der Selbstmord von Favieros. Da stimmt etwas nicht. Selbst wenn er sich vorher dazu entschlossen hätte, so jemand wie Favieros würde sich diskret umbringen. Er würde es nicht vor laufender Kamera tun.«
Ich stelle nahezu mit Erleichterung fest, daß sich seine Taktik nicht geändert hat. Nach wie vor präsentiert er mir meine Ideen als seine eigenen.
»Vorgestern, in Ihrem Büro, waren Sie aber anderer Meinung«, sage ich, um ihm Kontra zu geben.
»Weil ich mich nicht vor Janoutsos äußern wollte. Ich habe etwas mit Ihnen vor, aber ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen soll.«
Jetzt verharre ich wieder schweigend, damit er mir seine Organisationsprobleme auseinandersetzen kann.
»Offiziell kann ich im Fall Favieros keine Untersuchung einleiten. Es gibt keinen Zweifel, daß er Selbstmord verübt hat, also gibt es für die Polizei hier nichts zu ermitteln. Deshalb habe
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