Live!
selben Augenblick stelle ich fest, daß mein Hirn die Aufwärmphase der Rekonvaleszenz durchbrochen hat und wieder im gewohnten Tempo arbeitet.
»Das ist nicht zu leugnen, was?« antwortet er stolz. »Eine postmoderne Garderobe. So nennt es Nitsa. Der letzte Schrei aus der Modewelt.«
»Todschick« hätte man auch sagen können und zudem hätte das mit der Leichenhalle harmoniert. Doch ich verkneife es mir und mache mich auf den Weg zu Fanis.
8
D er süße Mokka des provinziellen Möchtegern-Cafés auf dem Platz vor der Lazarus-Kirche ist verwässert und der Kellner überzeugter Griesgram. Trotzdem gehe ich jeden Morgen mit meiner Zeitung hier vor Anker. Vielleicht zieht mich die Ruhe an, die der kleine Platz mit den zwei alten Frauen und den drei arbeitslosen Albanern auf den Bänken ausstrahlt. Es könnte aber durchaus auch der vertraute griechische Masochismus sein, der einen stets dorthin zieht, wo man sich erst einmal gehörig aufregen muß, um anschließend sein Schicksal zu verfluchen.
An meinem Stammplatz sitzen drei junge Männer, die alle Kaffee-Frappé trinken. Ich setze mich zwei Tische weiter in den Schatten, da mit einemmal die große Hitze ausgebrochen ist, und breite meinen sonntäglichen Kurzwarenladen vor mir aus. Aus der Zeitung ziehe ich eine Illustrierte, eine Zeitschrift für Kunst und Kultur, ein Modemagazin, eine Fernsehzeitschrift, ein Heft mit Kreuzworträtseln, eine Probepackung Waschmittel, eine Probepackung Zahnpasta, eine Probepackung Mundwasser und drei Coupons für zinslose monatliche Ratenzahlungen. Ich werfe alles in die Plastiktüte, die mir der Kioskbesitzer mit der Bemerkung »Vorsicht! Die Zeitung quillt gleich über, Herr Kommissar!« jedesmal zur Verfügung stellt, und behalte nur das eigentliche Sonntagsblatt, das gerade mal sechzehn Seiten umfaßt. Ich blättere es rasch durch, um zur Reportage über die beiden Kurden zu gelangen. In diesem Augenblick stellt der Kellner wortlos den süßen Mokka vor mich hin und entfernt sich wieder. Er hat ihn ganz von allein gebracht, ohne daß ich ihn bestellt hätte.
»Moment mal!« rufe ich hinterher, worauf er sich umdreht. »Woher wollen Sie denn wissen, ob ich heute nicht vielleicht ein Kaffee-Frappé möchte?«
Er wirft mir einen überdrüssigen Blick zu und zuckt mit den Schultern. »Sie gehören nicht zu denjenigen, die sonntags spendabler sind«, meint er und geht weiter.
Fast schimpfe ich laut los. Da fällt mein Blick auf eine Aufnahme der Frearion-Straße, die von einem halbseitigen Bericht über den Mord umrahmt ist. Gierig stürze ich mich darauf, doch nach den ersten Zeilen muß ich feststellen, daß nur Altbekanntes wiedergekäut wird. Das letzte Drittel bringt die neueren Erkenntnisse – das heißt, die Namen der beiden Kurden: Kemal Talali und Masut Fahar. Beide arbeiteten tatsächlich auf der Baustelle von Favieros’ Firma im Olympischen Dorf. Die einzige wirkliche Neuigkeit stammt vom neu gestylten Markidis und bestätigt, was wir beide von Anfang an vermutet hatten: daß die Mörder ein Betäubungsspray benutzten, um ihre Opfer bewegungsunfähig zu machen und in aller Ruhe hinzurichten.
Ich werfe einen raschen Blick auf den restlichen Teil der Zeitung, entdecke aber nichts anderes als die üblichen ellenlangen Analysen zur Innen-, Außen- und Finanzpolitik. Neben dem Teller lasse ich den genauen Betrag für den verwässerten Mokka liegen, und daneben die Zeitung mit sämtlichen Accessoires. Gemächlich spaziere ich die Aroni-Straße hoch und versuche die sündigen Gedanken an die beiden Kurden, Favieros und die Griechisch-Nationale Vereinigung Philipp von Makedonien zu verscheuchen. Außerdem ist es angenehmer, an das sonntägliche Mittagessen mit Fanis zu denken, das mittlerweile so regelmäßig stattfindet wie die Arbeitssitzungen des Ministerrats. Ausgenommen sind nur die Sonntage, an denen er Dienst hat.
Die Wohnungstür öffnet sich, bevor ich den Schlüssel ins Schloß stecken kann. Adriani steht mit verstörtem Blick auf der Türschwelle und versperrt mir den Zutritt. Offenbar hat sie auf den Fahrstuhl gelauscht, um mir eilig die Tür zu öffnen.
»Was ist los?« frage ich und höre, wie meine Stimme zittert, da ich mir sofort das Schlimmste ausmale: Katerina ist etwas zugestoßen, und Fanis ist herbeigeeilt, um es uns mitzuteilen.
Anstelle einer Antwort tritt sie auf den Korridor hinaus, beugt sich an mein Ohr und zischt aufgebracht: »Diese Verbohrtheit, kein Handy zu wollen! Meine Mutter hat
Weitere Kostenlose Bücher