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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Glauben Sie den Grund für seinen Selbstmord in seinen Computerspielen zu finden?«
    Ich könnte jetzt einschreiten und ihm den Wind aus den Segeln nehmen, doch ich lasse Koula mit der Situation allein fertig werden. Sie wird zwar knallrot, doch sie läßt sich den Mund nicht verbieten.
    »Man kann nie wissen, was ein Computer alles zutage fördert. Die unwahrscheinlichsten Dinge manchmal.«
    Samanis zuckt mit den Schultern. Er scheint von ihrem Argument nicht überzeugt zu sein, doch er hat auch keine Einwände.
    »Jasons Büro liegt auf derselben Etage, aber im alten Gebäude. Dort hat der Aufstieg seiner Baufirma begonnen, und er wollte nicht weg von dort. Ich werde Frau Lefaki, seine Privatsekretärin, informieren.«
    »Also, Koula, was gedenken Sie eigentlich auf dem Computer zu finden?« sage ich, als wir auf den Korridor treten. »Samanis hat es Ihnen doch schon gesagt. Der selige Favieros hat Tarotkarten gelegt.«
    Sie bleibt mitten auf dem Korridor stehen und blickt mich mitleidig an. »Wissen Sie, was ich tue, wenn ich ein geheimes Dokument auf dem Computerbildschirm habe? Ich öffne daneben die Tarotkarten. Jedesmal, wenn jemand ungerufen ins Büro kommt, klicke ich das Spiel an und überdecke das geheime Dokument. Alle glauben, daß ich den Tag vertrödle, aber ich mache mit den Tarotkarten die Geheimakten unsichtbar.«
    Damit hat sie mir den Mund gestopft, aber ich habe sie nie Tarotkarten legen sehen. Vielleicht weil ich nicht zu denjenigen gehöre, die ungerufen in ihr Büro kommen. Aber noch eher, weil ich nie jemandem auf den Bildschirm schaue. Deshalb kriege ich solche Dinge nicht mit.
    Wir schlagen den Rückweg ein, diesmal ohne Eskorte. Die Atmosphäre im neoklassizistischen Gebäudeteil ist das glatte Gegenteil des modernen Baus. Es ist, als befände man sich mit einem Schlag in einem Handelskontor des 19. Jahrhunderts, das Kolonialwaren vertreibt. Ein beeindruckender großer Saal, in dem früher bestimmt Bälle abgehalten wurden, ist von hellen Türen umrahmt. Sie tragen kein Namensschild wie jenes, das Gikas an der Tür seines Büros anbringen ließ. Offenbar sollte die Ästhetik nicht getrübt werden. Doch das zwingt uns dazu, ausnahmslos alle Türen durchzugehen, bis wir auf Favieros’ Büro stoßen.
    Dort begegnen wir der dritten Fünfzigjährigen. Sie ist großgewachsen, blond, mit ausgesuchtem Schick gekleidet und natürlich ungeschminkt.
    »Treten Sie ein, Herr Kommissar«, meint sie bei unserem Anblick. Auch sie schenkt Koula keine Aufmerksamkeit, und das beginnt mich langsam zu stören, da ich das Gefühl habe, daß man uns wie einen Lastwagen mit Anhänger wahrnimmt.
    Frau Lefaki öffnet eine Tür zu ihrer Rechten und führt uns in Favieros’ Büro. Koula hält auf der Schwelle inne und blickt mich sprachlos an. Ich bin ebenso überrascht wie sie, denn plötzlich scheinen wir uns in einer Anwaltskanzlei aus den fünfziger Jahren zu befinden – mit schwarzem Ledersofa, schwarzen Ledersesseln, schweren Vorhängen und einem riesigen Schreibtisch aus Nußholz. Die einzigen zeitgenössischen Gegenstände sind der Bildschirm und die Tastatur eines Computers auf dem Schreibtisch. Sieh mal einer an, denke ich bei mir, die Einrichtung in seinem Privathaus weist einen ganz anderen Stil auf als die in seinem Büro. Und sein Büro sieht ganz anders aus als das seiner Mitarbeiter. Ich verliere noch völlig die Orientierung, weil ich immer weniger weiß, wer Favieros eigentlich wirklich war.
    Die Lefaki hat uns die Verwunderung an den Gesichtern abgelesen und lächelt fein. »Sie haben richtig geraten«, sagt sie. »Er hat die Anwaltskanzlei seines Vaters in unverändertem Zustand hierher transferiert.«
    Koula geht gleich auf den Computer zu. Bevor sie loslegt, wirft sie der Lefaki einen Blick zu, als bräuchte sie ihre Erlaubnis.
    »Kein Problem«, meint die. »Herr Samanis hat mir Bescheid gegeben.«
    Ich lasse Koula das Gerät in die Mangel nehmen und gehe mit der Lefaki hinaus. Sie hat Favieros öfter als alle anderen gesehen, und sie wird mir bestätigen können, was mir sowohl der thailändische Butler als auch Samanis erzählt haben.
    »Hatten Sie in der letzten Zeit irgendeine Veränderung an Jason Favieros bemerkt?« frage ich.
    Ihre Antwort kommt prompt, als zweifle sie keinen Augenblick an ihren Worten. »Ja. Er hatte sich in der letzten Zeit verändert.«
    »Inwiefern? Können Sie mir das genauer erklären?«
    Sie denkt kurz nach, um eine möglichst präzise Einschätzung abzugeben.

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