Live!
sich um eine reine Formsache.«
»Dann lassen Sie uns die Formalitäten schnell hinter uns bringen.« Er wartet, bis wir uns gesetzt haben, und bläst kurz und unumwunden zum Angriff.
»Was wollen Sie hören? Ob ich erwartet hätte, daß sich Jason umbringt? Die Antwort ist nein. Ob er Gründe hatte, Selbstmord zu begehen? Nein, alles lief für ihn wie am Schnürchen. Ob ihn diese Faschistenschweine zum Selbstmord getrieben haben? Wieder nein, die haben bloß die Gelegenheit genutzt, um sich ins Rampenlicht zu setzen. Ob ich je erwartet hätte, daß Jason mit seinem Selbstmord ein öffentliches Schauspiel bieten würde? Die Antwort ist zum vierten Mal nein. Und jetzt, wo ich auf alle Ihre Fragen geantwortet habe, lassen Sie mich wieder an meine Arbeit gehen. Die Geschäfte laufen weiter, und die ganze Last liegt auf meinen Schultern.«
Koula ist unschlüssig, ob sie aufstehen oder sitzen bleiben soll, und blickt mich verlegen an. Als sie sieht, daß ich mich nicht rühre, tut sie es mir gleich.
»Vielen Dank, daß Sie uns die Mühe einer Befragung erspart haben«, sage ich freundlich und ohne jede Ironie. »Auf die Frage, warum sich Jason Favieros umgebracht hat, haben Sie aber nicht geantwortet.«
Er hebt die Hände in hilfloser Verzweiflung. »Weil ich es nicht kann«, entgegnet er freimütig. »Seit ich zum Augenzeugen dieses furchtbaren Schauspiels im Fernsehen wurde, zerbreche ich mir den Kopf auf der Suche nach einer Antwort und finde keine.«
»Halten Sie es für ausgeschlossen, daß ihn diese nationalistische Vereinigung erpreßt hat?«
Er lacht auf. »Kommen Sie, Herr Kommissar! Wenn das der Fall wäre, würde ich es als erster erfahren haben. Und wir hätten es vor der Polizei ganz bestimmt nicht geheimgehalten. Und im Endeffekt müßten die doch, wenn sie wegen der ausländischen Arbeitskräfte Druck ausüben wollen, alle griechischen Baufirmen erpressen.«
»Hatte er Feinde?«
»Selbstverständlich. Alle übrigen Unternehmer, die für die öffentliche Hand arbeiten. Wir leben in einer Welt, in der jeder gegen jeden kämpft. Früher hatten wir Träume, heute sind wir hart in der Wirklichkeit gelandet. Aber ich sehe auch niemanden, der wirklich unzufrieden damit wäre.«
»Kurz vor dem Selbstmord hat die Journalistin seine Verbindungen zur Regierung angesprochen.«
Wiederum lacht er auf. »Na und? Bringt sich ein Günstling um? Nur die in Ungnade Gefallenen begehen Selbstmord, Herr Kommissar.«
Schlagartig fühle ich mich ernüchtert. Alle seine Antworten habe ich mir auch selbst schon gegeben, seine Argumente sind unwiderlegbar. »Hatte er psychische Probleme?«
Ich stelle die Frage aus der Ratlosigkeit heraus, die einen überfällt, wenn man alles andere ausgeschöpft hat und sich in die Psychologie flüchtet. Doch nun kommt selbst der redegewandte Samanis ins Straucheln.
»Dasselbe frage ich mich auch«, meint er nachdenklich. »Allein die Art und Weise des Selbstmords weist auf eine psychisch gestörte Persönlichkeit hin.« Er hält erneut inne und heftet seinen Blick auf den Bleistiftbehälter auf seinem Schreibtisch, als bemühe er sich, seine Gedanken zu ordnen. »Jason hatte eine Menge hinter sich, Herr Kommissar. Ich weiß nicht, ob Sie seinen Lebenslauf kennen …«
»Nein.«
»Das sollten Sie aber.« Während er das sagt, blickt er mir fast herausfordernd in die Augen.
»Wozu?«
»Weil er einer der Wortführer des Widerstands gegen die Junta war. Er ist von der Griechischen Militärpolizei furchtbar gefoltert worden. Irgendwann haben sie Angst gekriegt, daß er ihnen draufgehen könnte, und ihn freigelassen, weil sie kein Aufsehen im Ausland verursachen wollten. All das hat bei ihm ein Trauma hinterlassen … Manischdepressive Anwandlungen … Abrupte Stimmungswechsel.«
»Hatte er vor dem Selbstmord derartige Symptome?«
Er denkt erneut nach. »Im nachhinein betrachtet, ja. Damals habe ich dem keine Bedeutung beigemessen.«
»Was soll das heißen?«
»Er war – wie soll ich das am besten ausdrücken? – irgendwie abwesend, als wären seine Gedanken ganz woanders. Er hatte alles mir übertragen und schloß sich in sein Büro ein. Als ich ein-, zweimal zu ihm kam, saß er vor seinem Computer und spielte Computerspiele …«
»Wie lange vor dem Selbstmord ging das so?«
»Eine Woche etwa … Zehn Tage höchstens …«
»Könnten wir einen Blick auf seinen Computer werfen?« fragt Koula zögernd, fast schüchtern.
Samanis wirft ihr einen ironischen Blick zu.
»Wozu?
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