Live!
der sonst den ganzen Tag lang von einer Besprechung zur nächsten hetzt, plötzlich von seiner Umwelt? Sehen Sie mich an, ich kann Ihnen ein Lied davon singen!« vermeldet er mit Nachdruck und ruft mir den guten alten Gikas in Erinnerung, der nur einen einzigen Bezugspunkt kennt – sich selbst. Unmittelbar danach stellt er die Frage in den Raum, die auch mich beschäftigt: »Was hat sich Außergewöhnliches in Favieros’ Leben ereignet? Warum hat er alles stehen- und liegenlassen und sich zurückgezogen, wenn er, allem Anschein nach, weder beruflich noch privat in irgendeiner Weise in Bedrängnis war?«
Ich muß ihm die Antwort schuldig bleiben und beschränke mich auf einen Hinweis. »Koula hat einen kurzen Blick auf den Computer in seinem Büro geworfen. Aber sie muß ihn noch genauer durchforsten.«
»Da können Sie ihr voll vertrauen. Darin kennt sie sich hervorragend aus.« Er macht eine kleine Pause und fügt dann hinzu: »Wenn jemand aus Favieros’ Umfeld bei der Polizei rückfragen möchte, verweisen Sie auf mich persönlich.«
Wir beenden das Gespräch, und mir bleibt zumindest die Genugtuung, daß er mich unterstützt und mir die Hand reicht, während ich im dunkeln tappe.
Adriani sitzt vor dem Fernseher und verfolgt eine Quizshow. Ich habe keine Lust zuzusehen, wie sie alle Fragen richtig beantwortet und den Millionen nachtrauert, die ihr durch die Lappen gehen. Deshalb mache ich mich auf den Weg ins Schlafzimmer, zu meinem Rendezvous mit Dimitrakos. Doch die Türglocke hält mich zurück. Als ich öffne, steht Fanis auf der Schwelle mit einer kleinen Tüte in der Hand und lächelt mich an. Ich nehme an, es handelt sich um eine Morgengabe für Adriani. Denn des öfteren bringt er ihr kleine Geschenke, um sich für eine Einladung zum Essen zu revanchieren.
Doch diesmal täusche ich mich, da er mir die kleine Tüte entgegenstreckt. »Von deiner Tochter«, sagt er.
»Von Katerina?«
»Ja, ein kleines Präsent.«
Meine Verwunderung steigt, da Katerina mir für gewöhnlich keine Geschenke aus Thessaloniki schickt. Sie spart selbst beim Strom, um mir nicht auf der Tasche zu liegen. Ich sehe sofort hinein und ziehe ein Buch mit einem billigen, marktschreierischen Umschlag in Weiß, Rot und Schwarz hervor, der an die Publikationen zur Geschichte der Kommunistischen Partei Griechenlands erinnert. Der Buchtitel lautet: Jason Favieros . Vom Folteropfer zum Finanzriesen. Autor ist ein gewisser Minas Logaras und Verleger ein gewisser Sarantidis. Ich blättere es mechanisch durch und sehe, daß es an die dreihundertzwanzig Seiten umfaßt.
Es ist kaum verwunderlich, daß sich bestimmte Leute Favieros’ spektakulären Selbstmord zunutze machen wollen. Was mich mehr erstaunt, ist die Tatsache, daß ein Mensch es fertigbrachte, innerhalb der zehn Tage, die seit Favieros’ Selbstmord verstrichen sind, eine Biographie von dreihundertzwanzig Seiten zu verfassen. Das konnte nur funktionieren, wenn das Buch bereits fix und fertig geschrieben war und man es nur noch auf den Markt zu werfen brauchte. Purer Zufall? Wer weiß.
»Wann ist das Buch erschienen?« frage ich Fanis.
»Keine Ahnung. Der Werbefeldzug jedenfalls läuft auf Hochtouren.«
»Und wie ist es Katerina in die Hände gefallen?«
»Katerina liest nicht nur Wörterbücher wie du«, antwortet er grinsend und zwinkert mir zu.
»Bei ihm ist Hopfen und Malz verloren, Fanis«, schaltet sich Adriani ein. »Kostas befaßt sich nur mit Haarspaltereien. Damit macht er sich das Leben schwer.«
Üblicherweise meint sie damit die Lexikoneinträge, die ich so gerne studiere. Doch diesmal spielt sie noch auf etwas anderes an: auf alle in ihren Augen absolut nichtigen Probleme vorwiegend beruflicher Natur, die meine Zeit in Anspruch nehmen und mich ihrer Aufsicht entziehen.
Ich halte meinen Zorn lieber im Zaum, da ich mich in Fanis’ Anwesenheit nicht mit ihr anlegen will. Denn ich möchte im Grunde nicht, daß er den Eindruck gewinnt, unsere Tochter komme aus einer Familie, in der die Eltern wie Hund und Katz miteinander umgehen.
Statt dessen rufe ich Katerina an, um mich bei ihr zu bedanken. »Wie bist du darauf gekommen?« frage ich.
»Ich bin zufällig auf eine Zeitungsannonce gestoßen und habe mir gedacht, es könnte dich interessieren.«
»Es interessiert mich wirklich. Vielen Dank.«
»Wie dick ist es?«
»Soviel ich gesehen habe, an die dreihundert Seiten.«
Sie lacht hell auf. »Du tust mir leid«, meint sie.
»Wieso?«
»Weil du so Zeug nicht
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