Live!
sie es zu jeder vollen Stunde. Sie haben es um sieben gesendet, also zeigen sie es um acht noch mal.«
Aus ihr spricht jahrelange Erfahrung, und ich gebe klein bei. Ich warte eine Viertelstunde bis zum Ende der Sendung und weitere zehn Minuten Werbeblock ab. Schließlich, nach fast einer halben Stunde, erscheint die Überschrift: »Rechtsextreme wegen Mordes an zwei Kurden und Anstiftung zum Selbstmord im Fall Favieros und Stefanakos festgenommen.«
Unmittelbar danach tauchen drei durchtrainierte Männer mit kahlrasiertem Schädel auf, die in Handschellen und in Begleitung je zweier Polizeibeamter durch den vertrauten Korridor geführt werden, auf dem mein Büro liegt. Der erste trägt ein T-Shirt mit einem Ungetier vorne drauf. Die anderen beiden verdecken sowohl einander als auch das Markenzeichen auf ihrer Brust. An beiden Seiten des Korridors stehen Reporter mit Mikrophonen aufgereiht und halten sie den jungen Männern unter die Nase. Fragen prasseln auf sie ein: »Was sagen Sie zu den Anschuldigungen? Haben Sie die beiden Kurden getötet? Was haben Sie empfunden, als Sie geschossen haben? Was ist für Sie Rassismus? Wie haben Sie Favieros und Stefanakos dazu gebracht, Selbstmord zu begehen?«
Die jungen Männer halten den Kopf gesenkt und entgegnen nichts, während die Polizeibeamten sie vorwärtsdrängen, um sie aus der Menschentraube zu befreien. Mit ihrem Entschwinden löst sich die Hauptattraktion in Luft auf, und der Bildschirm füllt sich mit den zugeschalteten Experten.
»Die Festnahme der drei Tatverdächtigen erfolgte heute um fünfzehn Uhr im Zuge einer koordinierten Polizeiaktion«, berichtet ein junger Reporter mit zu Berge stehenden Haaren, der kurz vor meiner Verwundung zum ersten Mal auf dem Bildschirm aufgetaucht ist. »Bei den Tatverdächtigen handelt es sich um den dreiundzwanzigjährigen arbeitslosen Stelios Birbiroglou, den zweiundzwanzigjährigen Sportstudenten Nikos Seitanidis und den fünfundzwanzigjährigen Elektriker Charalambos Nikas. Alle drei werden zur Stunde im Polizeipräsidium vernommen.«
»Gibt es keine Verlautbarungen seitens der Polizei, Vassos?« fragt der Nachrichtensprecher.
»Doch. Der Leiter der Mordkommission, Kommissar Polychronis Janoutsos, hat eine Presseerklärung abgegeben.«
»Also, seit wann sitzt der denn an deiner Stelle?« fragt Adriani verdattert.
»Da ich im Genesungsurlaub bin, mußte jemand an meine Stelle treten.«
»Ja, aber sollte er nicht als deine Vertretung bezeichnet werden?«
»Sei nicht so pingelig.«
Trotzdem finde ich es bemerkenswert, daß Janoutsos auftritt und nicht Gikas. Sonst hatte Gikas die Presseverlautbarungen immer als seine ausschließliche Spielwiese betrachtet, wieso überläßt er sie jetzt Janoutsos? Und ausgerechnet in einem so wichtigen Fall? Obwohl Janoutsos die Erklärung vom Blatt abliest, hüstelt er bei jedem zweiten Wort, da ihn die direkt vor seinem Mund plazierten Mikrophone nervös machen.
»Bereits nach dem Selbstmord des Bauunternehmers Jason Favieros und dem nachfolgenden Bekennerschreiben der Vereinigung Philipp von Makedonien gab es Hinweise darauf, daß diese nationalistische Organisation vorhatte, bekannte Persönlichkeiten zu erpressen, und sogar vor politischen Morden nicht zurückschrecken würde. Nach der Ermordung der beiden Kurden, die auf der Baustelle von Jason Favieros’ Firma DOMITIS AG arbeiteten, führte die Polizei eine koordinierte Aktion zur Festnahme der Tatverdächtigen durch. Wir verfügen über Erkenntnisse, die besagen, daß die mutmaßlichen Täter Jason Favieros und Loukas Stefanakos über Monate hinweg erpreßt und immer stärker unter Druck gesetzt haben, um sie dadurch zum Selbstmord zu bewegen.«
Um mich dreht sich alles im Kreis. Zunächst einmal habe ich noch nie davon gehört, daß die Polizei die Griechisch-Nationale Vereinigung Philipp von Makedonien im Visier hatte. Und selbst wenn, so wäre das der Terrorismusbekämpfung unterstellt und nicht meiner Abteilung und schon gar nicht Janoutsos, der bis vorgestern Mafiosi nachjagte, um ihnen den Mord an den beiden Kurden anzuhängen. Und warum sind weder Gikas noch der Leiter der Terrorismusbekämpfung, der eigentlich in der Sache Zuständige, mit einer Erklärung hervorgetreten und überlassen Janoutsos das Feld?
Während ich mir darüber den Kopf zerbreche, tritt einer der Anwälte der drei Beschuldigten auf.
»Mein Klient ist unschuldig und wird nur für seine Ideen verfolgt«, erklärt er aufgebracht. »Diese
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