Live!
die einzige, die zu mir paßte und die ich mochte, selbst wenn ich ständig einen Balanceakt vollführen und vor jeder Bananenschale auf der Hut sein mußte. Nun wird man mich an irgendeine Einsatzplanungsabteilung verweisen, und ich werde den lieben langen Tag Akten vollklecksen.
»Hör mal«, sagt Adriani vorsichtig, und daraus schließe ich messerscharf, daß sie einen neuen Vorschlag in petto hat. »Was hältst du von einer kleinen Reise zu Eleni auf die Insel? Sie liegt mir schon die ganze Zeit damit in den Ohren. Wenn du meine Meinung hören willst: Nach all dem, was wir durchgemacht haben, wird es uns guttun. Dein Genesungsurlaub dauert noch siebenundzwanzig Tage.«
Sie hat die Tage haarklein abgezählt, und ihre Idee eröffnet eine durchaus bedenkenswerte Perspektive. Weit weg von Athen werde ich zur Ruhe kommen, neue Kräfte schöpfen und den Kampf um einen neuen Posten, der meiner würdig ist, besser durchstehen. Trotz der positiven Aspekte reagiere ich zurückhaltend, um sie nicht allzusehr zu ermuntern. Denn sonst läßt sie mir keine ruhige Minute mehr.
»Überschlafen wir es. Grundsätzlich keine üble Idee.«
»Schön, dann rufe ich morgen wegen der Fährverbindungen an. Eleni hat erzählt, es gebe jetzt neue Schiffe, die nur sechs Stunden brauchen. Die Fahrkarten sind natürlich teurer, aber es zahlt sich aus.«
Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann braucht sie gar keine klare Antwort. Ein ›Vielleicht‹ wird einem dann gleich als ›Ja‹ ausgelegt.
»In Ordnung, aber nagle mich nicht fest.«
Ich lasse den Teller halbvoll stehen und setze mich vor den Fernseher. Heute abend ist mir nicht nur der Appetit vergangen, an Schlaf ist auch nicht zu denken. Es gibt ein Wiedersehen mit den drei jungen Männern, die durch den Korridor vor meinem ehemaligen Büro abgeführt werden, und ich höre nochmals Janoutsos’ Verlautbarung, die mich erneut aufregt. Danach kommen der Reihe nach die Eltern und Nachbarn der jungen Männer zu Wort, und das weckt mein Interesse. Alle drei Elternpaare behaupten entschieden, ihre Kinder seien unschuldig. Sie schimpfen auf die Regierung und verfluchen die Polizei, die sie ins Unglück gestürzt und ihre Sprößlinge ins Gerede gebracht habe. Ein junger Bursche aus der Nachbarschaft drückt es in bezug auf einen der Festgenommenen am treffendsten aus: »O. k., er ist bestimmt kein Heiliger, aber Mord ist eine Nummer zu groß für ihn.«
Kurz nach elf Uhr zappe ich zufällig in eine Diskussionsrunde, in der es um die rechtsextreme Gefahr in Griechenland geht, wiederum mit Sotiropoulos als Gastgeber. Daran nehmen ein Minister, ein großes Kaliber der Opposition, ein Journalist und ein Anwalt teil. Das Spiel läuft nach den vorgegebenen Regeln, ohne jegliche Variation, ab: Der Minister ist der Meinung, die rechtsextreme Gefahr liege in Griechenland auf der Lauer und der Staat müsse wachsam sein. Der Abgeordnete der Opposition weist das zurück und wirft der Regierung politisches Kalkül vor. Der Minister hält dagegen und wirft der Opposition vor, die Gefahr wissentlich kleinzureden, um am rechten Rand Stimmen zu fangen. Und zwischendrin taucht, wie der Joker im Kartenspiel, zuerst der Anwalt auf und bemüht sich zu erläutern, daß die Beweislage nicht ausreicht, um eine Anklage gegen die drei jungen Männer zu stützen, später der Journalist, der sich an einer politischen Analyse versucht. Doch beide reden gegen die Wand, da ihnen keiner zuhört. Sotiropoulos spielt sein eigenes, mir vertrautes Spiel: das Wechselbad. Zuerst wirft er eine provokante These in die Runde und bringt das Blut in Wallung, dann bemüht er sich wieder, die Wogen zu glätten.
Das war’s, sage ich mir, sie haben ihr Ziel erreicht. Morgen werden alle, von den Tageszeitungen über die Radiobis zu den Fernsehsendern, von der rechtsextremen Gefahr faseln, und die drei jungen Männer werden in der Versenkung verschwinden.
Es ist einer der wenigen Abende, an denen ich mich vor dem Einschlafen nach dem Rauschen des Meeres auf der Insel sehne. Aber sobald ich die Augen schließe, taucht Janoutsos – in meinen Stuhl gefläzt – vor mir auf, und ich reiße sie prompt wieder auf.
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W enn man kein Auge zutut, übermannen einen entweder Furcht und Anspannung oder Genervtheit und Wut. In beiden Fällen braucht man ein Beruhigungsmittel. Meine Beruhigungspille war die Entscheidung, mit Gikas abzurechnen. Und anstelle von Aufregung und Bauchgrimmen schenkte sie mir Erleichterung und immerhin zwei
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