Live Fast, Play Dirty, Get Naked
oder Andy zu Curtis …
Was auch immer los gewesen war, das Ganze wirkte jedenfalls reichlich armselig.
Aber ehrlich gesagt wirkte vieles armselig, nachdem ich in jener Nacht die Geschichte von Williams Leben gehörthatte. Im Vergleich zu dem, was er durchgemacht hatte – und immer noch durchmachte –, schien das meiste plötzlich so trivial und unbedeutend. Curtis und ich, die Band, Schule, Musik … ich sah das alles mit einem völlig neuen Blick. Bei nichts davon ging es um Leben und Tod. Nichts davon war wirklich wichtig. Selbst die fortwährenden Probleme meiner Mutter schienen im Lichte dessen, was Williams Eltern widerfahren war, nicht mehr so richtig erschütternd. Ich meine, immerhin lebte meine Mutter noch – und mein Vater auch. Natürlich will ich damit nicht sagen, dass ich plötzlich merkte, wie wunderbar mein Leben war oder so … ich begriff nur, dass es leicht viel schlimmer hätte sein können.
21
Ende Mai kühlte es draußen ein bisschen ab, doch im Juni wurde es wieder warm und gegen Ende des Monats lag das ganze Land in brütender Hitze unter einem strahlend blauen Himmel. Im heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen stiegen die Temperaturen tagelang auf 27, manchmal sogar auf über 32 Grad Celsius. Den ganzen Juni und Juli und bis in die ersten Wochen des Augusts knallte die Hitze erbarmungslos nieder. Es gab keine Unterbrechung – keinen Regen, keinen kühlen Wind – und selbst nachts sanken die Temperaturen kaum. Manche Nächte waren so heiß, dass die Leute auf den Dächern schliefen. Und im Verlauf des Sommers zeigten die endlose Hitze und der anhaltende Regenmangel ihre Folgen – Bürgersteige platzten auf, der Teer der Straßen schmolz, Flüsse trockneten aus und die Wasserversorgung musste rationiert werden. Es gab verheerende Waldbrände, Marienkäferplagen, massive Ernteausfälle, alle möglichen Schwierigkeiten in Wirtschaft und Industrie … doch um ehrlich zu sein, nichts davon tangierte mich. Und allen anderen, die ich kannte, ging es genauso. Es gab nur unsere eigene Welt – unsere Straßen, unsere Häuser, unsere Tage, unsere Nächte –, das Ganze außerhalb davon, das heißt so gut wie alles auf diesem Planeten, interessierte uns nicht. Wir interessierten uns nicht für Politik, wir beschäftigten uns nicht mit der Weltlage – Atomwaffen, demVietnamkrieg oder sonst was, das die Welt für wichtig erachtete, sie existierten für uns nicht. Und wenn es auch stimmte, dass William wesentlich mehr vom Leben – und Tod – wusste als wir alle zusammen, lebte sogar er ohne Bezug zum Rest der Welt.
Natürlich merke ich heute, wie engstirnig und egoistisch das klingt, aber so war es damals eben. Wir schauten nicht fern, wir lasen keine Zeitung … wir lebten bloß unser Leben.
Der Sommer damals war für uns schlicht unser Sommer; wir genossen die Hitze, wir verfluchten die Hitze, wir schwitzten, wir glühten … wir taten, was wir wollten. Wir hingen tagsüber in der Sonne rum oder probten im Lagerhaus und an den Abenden hingen wir entweder weiter rum, gingen in einen Pub oder fuhren – meistens – durch London zu unserem nächsten Auftritt.
Mit unseren Auftritten ging es jetzt Schlag auf Schlag. Zwei, manchmal drei Gigs die Woche … die Veranstaltungsorte wurden immer besser, das Publikum immer größer und der Wirbel um den Punk immer lauter. Die Londoner Szene legte allmählich so richtig los, mit ständig neuen Bands. Anfang Juli spielten die Ramones zwei Abende lang im Roundhouse und an dem Abend, als wir hingingen, waren alle, die irgendwas darstellten, ebenfalls dort, und dazu so gut wie alle Londoner Musikjournalisten. Im selben Monat gab es die Debüt-Auftritte von The Clash, The Damned und von den Buzzcocks. Die Musikpresse war noch immer geteilter Meinung, wie gut diese neuen Bands wirklich waren – einige Blätter hassten sie, andere begeisterten sich schnell –, aber so oder so, die Punkmusik bekam langsam richtig viel Aufmerksamkeit von den Medien. Besonders die Gigs der Ramoneswaren riesige Events. In der Folge zeigten auch die Plattenfirmen allmählich echtes Interesse an Punk … und einiges davon lief in unsere Richtung.
Es war noch nicht wild – das Ganze bestand mehr aus Gerüchten und ansatzweise verheißungsvollen Überlegungen. Jake erzählte uns dauernd, dass er mit dem und dem von Polydor oder A&M und sonst wem gesprochen habe und dass sie »ernsthaft« an uns interessiert seien oder zu unserem nächsten Auftritt kommen wollten
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