Live Fast, Play Dirty, Get Naked
fuhren sie mit dem Zug nach London und saßen am späten Nachmittag in der Küche einer Sozialwohnung in einem Hochhausblock der Cranleigh-Farm-Siedlung an der West Green Road. Die Wohnung gehörte einer alten Freundin von Nancy aus der Schwesternschülerinnenzeit, einer Frau namens Rhoda Devlin. Rhoda war mit Nancy zusammen aufgewachsen, sie hatten als Kinder zusammen in den Straßen gespielt. Also wusste sie über die Probleme in Belfast Bescheid. Sie verstand, wie die Milizen vorgingen. Und sobald Nancy erklärt hatte, was passiert war und wieso sie hatte fortgehen müssen, zögerte Rhoda nicht lange und brachte sie und die Jungs in der Wohnung unter. Wie sich herausstellte, hatte sie ohnehin überlegt, mit ihrem Freund zusammenzuziehen, doch es hatte so lange gedauert, die Sozialwohnung zu bekommen, dass es sie ärgerte, sie jetzt einfach so aufzugeben.
»Aber wenn du hierbleiben willst«, erklärte sie Nancy. »Du und die Jungs … na ja, dann könnte ich ja mit Derren zusammenziehen und die Wohnung hier auf meinen Namenbehalten. Ist vielleicht gar nicht schlecht, falls es mit Derren doch nicht so klappt … was bei meinem Glück mit Männern durchaus sein kann. Aber egal, was meinst du?«
»Müsste ich dann so tun, als ob ich du wär?«, fragte Nancy.
»Nur gegenüber dem Sozialamt. Und solange die Miete bezahlt wird, kümmert sich eigentlich niemand darum, wer du bist.«
Damit war das schon mal so gut wie geregelt. Rhoda zog eine Woche später aus und für William und Joe fing mit Nancy ein vollkommen neues Leben an. Neues Leben, neues Zuhause, neue Stadt, neues Land, neue Mutter.
»Nicht dass sie uns je gedrängt hätte, sie als unsere Mutter anzusehen«, sagte William. »Sie war einfach … keine Ahnung. Einfach Nancy, denke ich mal. Sie war alles, was wir noch hatten … ist sie noch heute.« Er sah mich an. »Sie ist alles für uns – Mutter, Vater, große Schwester …«
»Sie muss eine bemerkenswerte Frau sein«, sagte ich.
»Ja, das ist sie.«
»Wie kriegt sie das hin?«, fragte ich. »Finanziell, meine ich. Arbeitet sie weiter als Krankenschwester?«
William schüttelte den Kopf. »Ist noch immer ein bisschen schwierig … sie kann eigentlich keinen richtigen Job annehmen, solange sie keinen neuen Ausweis hat, denn wenn sie ihren richtigen Namen und ihren richtigen Ausweis benutzt … na ja, wir müssen einfach sehr vorsichtig sein, verstehst du?«
»Glaubst du wirklich, die IRA sucht nach ihr?«
»Ich weiß es.«
»Woher?«
Er zuckte die Schultern. »Beziehungen, Leute zu Hause, die etwas hören … ist eine kleine Welt dort drüben.«
»Aber eine große hier.«
Er lächelte. »Ja …«
»Gibt es denn keine Möglichkeit, wie du die Dinge mit der IRA in Ordnung bringen kannst?«, fragte ich. »Ich meine, wenn sie die Wahrheit wüssten, wenn sie wüssten, dass Franky Hughes deinem Dad und Nancy eine Falle gestellt hat –«
Er schüttelte den Kopf. »Es würde nichts nützen. Sie geben keine Fehler zu – das wär ein Zeichen von Schwäche. Die Wahrheit spielt keine Rolle, die Wahrheit ist unwichtig. Das Einzige, was für sie zählt, sind ihre Ehre und ihr Ansehen.«
»Ihre Ehre ?«
Er zuckte nur mit den Schultern.
Da rastete ich einen Moment lang fast aus. Ich verstand nicht, wie er so eine lächerliche, verdrehte Moral einfach hinnehmen konnte. Natürlich wusste ich, dass er dieser Moral selbst nicht anhing und dass das Hinnehmen nichts anderes war als ein resigniertes Akzeptieren der gegebenen Situation …
Aber trotzdem …
Ich glaube, ich wollte einfach, dass er irgendwie Hass auf die IRA zeigte.
Was nur beweist, wie unglaublich naiv ich zu der Zeit war.
»Aber wenn Nancy keine Arbeit annehmen kann«, sagte ich zu ihm, »wie schafft ihr es dann?«
»Sie kann schon arbeiten, sie darf nur nichts Offizielles machen, solange sie keinen gefälschten Ausweis hat. Aber ein gefälschter Ausweis kostet viel Geld, an das sie nicht rankommt, weil sie ja keinen richtigen Job annehmen kann, solange sie keinen gefälschten Ausweis kriegt … das heißt, sie kann im Moment nur Jobs machen, die bar auf die Hand bezahlt werden, aber die bringen nicht viel. Trotzdem kommenwir zurecht, weißt du? Und ich versuche ihr zu helfen, so gut es geht …«
»Das heißt, du hast einen guten Job?«
»Nein«, sagte er grinsend. »Ich klau einfach.«
»Stimmt …«
Er sah mich an. »Manchmal musst du eben das tun, was nötig ist.«
Ich sagte nichts, sondern sah ihn nur an. Und während ich tief in
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