Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Live

Live

Titel: Live
Autoren: Ein Thriller
Vom Netzwerk:
die Straßen waberte, die er normalerweise nur mittags gewöhnt war und bestimmt nicht am frühen Morgen.
     
    Oder mitten in der Nacht.
     
    Er stellte sich vor, wie Gwen allein durch die Nacht ging, das verfallene Treppenhaus herunter, wo die Holztreppe an einigen Stufen mit grünlich schleimigen Moos überwachsen war und anscheinend kaum noch das Gewicht eines Menschen tragen konnte. Schatten waren überall, bewegliche Schatten, die sich mit kratzenden Geräuschen in der Nacht bewegten. Und Gwen würde allein sein. Sie würde allein sein. Der Gedanke ging ihm nicht aus dem Kopf. Irrationale, panische Angst befiel ihn wieder, dieselbe Angst, die er schon beim Aufwachen gespürt hatte und sie sich nur in seinem Kopf zurückgezogen hatte, um jetzt nach vorne zu springen und ihn anzufallen.
     
    „Ich will nicht, daß du gehst“, sagte er. „Das Village ist…“
     
    Gwen schnitt ihm das Wort ab, mit einer Geste, die wirklich schon mehr als Ärger anzeigte. Ben zuckte zusammen und verstummte. Er war zu weit gegangen. Es war die Zeit für einen Streit. Oh, großartig, genau das, was er mitten in der Nacht brauchte. Einen Streit mit seiner Verlobten.
     
    „Das Village ist nicht gefährlicher als die Upper Eastside“, antwortete Gwen. Ihre Stimme war noch sanft, noch leise, hatte aber einen bedrohlichen Unterton angenommen, den Ben nur zu gut kannte und der ihn dazu gebracht hatte, sich in den seltenen Streitgesprächen immer wieder zurückzuziehen, wenn Gwen wirklich wütend wurde. Etwas in ihrem Gesicht zerbrach; das beinahe kristallene, sanfte und glänzende spitzbübische Lächeln verschwand, als sie ihre Lippen zusammenpreßte und für einen Moment hatte er das Gefühl, er würde ihrem Vater gegen-überstehen, denn da war dasselbe Funkeln in ihren Augen, das Blitzen, das er schon bei dem alten Mann in Wanton Creek gesehen hatte und das auch bei Nelson Sr. nur in den allerseltensten Fällen zum Vorschein kam.
     
    „Ich möchte nicht, daß du gehst, Gwen“, meinte er, aber seine Stimme war nur noch lahm und er wußte, daß sie sowieso nicht auf ihn hören würde, also senkte er dabei den Kopf und verfluchte sich selbst stumm.
     
    „Komm schon. Ich wohne seit mehr als drei Jahren hier und mir ist noch nie etwas passiert. Ich kenne die Leute, die hier wohnen, Ben. Und sie kennen mich. Das nennt man Nachbarschaft, alles klar? Nachbarschaft. Vielleicht ist das etwas, was man auch im Rest der Stadt einführen sollte, wenn ihr da oben nicht alle so sehr damit beschäftigt gewesen wärt, euch hinter den Eingangshallen aus Marmor und Gold und euren Portiers zu vergraben und immer dann wegzuhören, wenn auf der Straße eine Polizeisirene aufheult.“
     
    Wirklich eine großartige Nachbarschaft, wenn zwei Jugendliche nur ein paar Blocks von hier entfernt zusammengeschossen werden,  dachte Ben, sagte aber nichts. Es würde sowieso keinen Unterschied machen.
     
    Gwen schob ihn zur Seite und ging ins Wohnzimmer, wo ihre Kleider lagen. Sie hatten sie nicht weggeräumt. Sein Hemd lag auf der großen Couch, einer der Schuhe war zwischen Eingangstür und dem großen, orientalischen Teppich, der den Raum beherrschte. Der zweite Schuh war irgendwo. Wo, daran konnte er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Da waren andere Erinnerungen, die solche unwichtigen Einzelheiten überlagerten. Gwens Hand, die sein Hemd langsam aufknöpfte. Der Geschmack ihrer Lippen auf seinem Mund und der süße Atem, den er schmeckte, als sie sich küßten. Ihr Körper, der sich gegen seinen preßte, fordernd und verlangend, während er seine Finger in ihrem Haar vergrub.
     
    Sie stand hinter der Couch, knöpfte sich ihre Bluse zu, schlüpfte in ihre Jeans und warf ihr Haar zurück. Bei der Jeans hatte sie einige, wenn auch kleine Probleme mit den Knöpfen.
     
     „Harper‘s ist nur zwei Blocks entfernt, Ben“, meinte sie, während sie mit spitzen Fingern den letzten Knopf der Jeans zumachte. Sie hielt den Atem noch einen weiteren Moment an, dann prustete sie leise. „Verdammte Hose muß beim  Waschen eingelaufen sein“, murmelte sie und nahm ihre Brieftasche vom Tisch, überprüfte den Inhalt und steckte sich den Lederbeutel in die Gesäßtasche der Levis. Es waren knapp dreißig Dollar drinnen gewesen. Das müßte eigentlich für einen mitternächtlichen Einkaufsbummel bei Harper‘s ausreichen.
     
    „Nur zwei Blocks“, wiederholte sie. „Was soll in zwei Blocks schon passieren?“
     
    Sie hatte beinahe schon die Tür des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher