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Live

Live

Titel: Live
Autoren: Ein Thriller
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toleriert hatte, und das war in den guten Zeiten.
     
    Er hatte nichts darauf erwidern können.
     
    Er hatte es auch nicht gebraucht.
     
    „Oh“, hatte sie gesagt, als sie sein Gesicht bemerkt hatte, die Furchen, die sich ihm die Stirn eingegraben hatten. Und die müden Augen, mit denen er seit Monaten die Welt betrachtet hatte. Draußen war es tiefer Winter gewesen, eine weiße Wüste, die sich gegen das Haus schmiegte.
     
    „Das wäre schon okay“, hatte er gesagt.
     
    „Hm“, hatte Gwen gesagt. „Mit meinem Vater gesprochen, oder?“
     
    Wieder hatte er nichts sagen müssen. Natürlich hatte Ben mit Cliff Nelson gesprochen.
     
    „Laß mich mal raten,“ hatte Gwen gesagt. „Du kannst mich ja jederzeit unterbrechen, wenn ich falsch liege. Mein Vater hat dich zu ihm in sein Büro gerufen, wahrscheinlich heute morgen, als ich draußen bei den Pferden war. Zu einem Gespräch unter Männern…“
     
    Ben war still geblieben.
     
    „Und natürlich hat er es nicht gesagt, nicht offen heraus“, war Gwen fortgefahren, mit einem ihrer spitzbübischen Lächeln, die er so an ihr liebte. „Daß er dich auf den Tod nicht ausstehen kann, meine ich.“
     
    Ben war still geblieben.
     
    „Nein. Natürlich hat er das nicht gesagt“, hatte Gwen genickt, bevor sie ihren Tonfall zwei Oktaven runterfallen ließ, in einer Parodie des tiefen, rauchigen, zigarrengefärbten Tonfall ihres Vaters…
     
    „Aber mein Junge, du kannst natürlich verstehen, daß ich besorgt bin, nicht wahr? Sehr besorgt. Kannst du verstehen, wenn man eine Tochter hat, dann ist man immer besorgt, jeden verdammten Moment an jedem verdammten Tag in seinem verdammten Leben. Ist so, wenn man eine Tochter hat, ist einfacher, wenn‘s ein Sohn geworden wäre, Gott weiß, daß ich einen Sohn haben wollte, aber Gott gibt das, was Gott geben will, und so ist es nun mal. Und wenn man eine Tochter hat, dann will man wissen, daß es ihr gut geht, daß sie sicher ist, daß sie abgesichert ist.“
     
    Ben war still geblieben.
     
    Und das war gut genug für Gwen gewesen.
     
    „Blah. Blah. Blah“, hatte sie mit wegwerfender Handbewegung gesagt.
     
    Ben war still geblieben.
     
    „Hey!“ Gwen Hände hatten sich sanft unter Bens Kinn geschoben, ein Augenzwinkern, ein Kuß, und ein Versprechen. „Gute und schlechte Zeiten, okay?“
     
    Schlechte Zeiten hatte es noch nicht gegeben, so dachte sich Ben, nicht wirklich, nicht wenn er sein Leben mit dem von anderen verglich. Und die Ablehnung ihres Vaters? War für Gwen nur ein weiterer Grund gewesen, daß zu tun, was sie ohnehin für richtig hielt.
     
    Gwen war diejenige mit dem Plan. Und dem Dickschädel, der notwendig gewesen war, ihn auch gegen den Willen ihres Vaters durchzusetzen.
     
    Und so lagen mehrere Dutzends von Einladungen zur Hochzeit auf seinem Schreibtisch, an dem Ben vorbeiging, auf der Suche nach der Liebe seines Lebens. Die meisten würden an Gwens Freunde gehen, einige an seine Familie, der Rest waren Höflichkeitseinladungen an Freunde und Verwandte von Gwens Eltern.
     
    Ben fühlte sich erschöpft, aber es war eine gute Müdigkeit, obwohl der Altersunterschied immer noch da war. Wenn du fünfzig bist, Ben, alter Knabe, dann wird sie erst vierzig sein, das ist dir doch klar?
     
    Ja, das war ihm klar.
     
    Das war ihm seit zwei Jahren klar.
     
    Es war ein bißchen zu spät, um sich jetzt noch darüber Gedanken zu machen.
     
    Ben blieb kurz an der Staffelei stehen, die neben der Couch des Wohnzimmers aufgestellt worden war und selbst jetzt, inmitten der Nacht, noch am meisten Licht von außen bekam. Gwen hatte eine Wand des Appartements herausreißen lassen und durch Glas ersetzt, um für ihre Malerei bessere Lichtverhältnisse zu haben.
     
    Ben wußte zwar nicht sehr viel über Malerei, schließlich wurde er dafür bezahlt, die fertigen Produkte aufzukaufen und dabei war es unwichtig, ob er wußte, wie die Bilder hergestellt wurden, aber die große, gläserne Wand gefiel ihm.
     
    Es war etwas, das es in New York eigentlich gar nicht geben durfte. Die Fenster in Manhattan (außer sie waren in Penthousewohnungen, mehr als fünfzig Stockwerke über den Straßen) hatten klein zu sein, um so wenig Platz für einen Einbrecher zu schaffen wie irgend möglich. Aber die einzelnen Fenster hier waren mehr als doppelt so hoch wie er selbst, reichten bis an die Decke des Lofts und erzeugten das Gefühl von Freiheit, jedesmal, wenn er daran vorbeiging. Rote Streifen des Neonlichts
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