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Live

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Titel: Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein Thriller
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angesehen. Zwei Frauen, ein Mann, ein Kind. Der Junge mochte vielleicht 13 oder 14 sein, hatte aber etwas in den Augen, das nicht zu dem Alter paßte, das Susan nur in einigen Berichten aus der Dritten Welt gesehen hatte, aus den kurzen Beiträgen über die sterbenden Kinder in Somalia, die mit sieben oder acht Jahren wußten, daß sie den nächsten Tag vielleicht nicht mehr erleben werden.
     
    Der Junge hatte diesen Blick.
     
    Der Polizist sah nicht gut aus. Um ihn herum hatte sich ein Kranz aus Blut gebildet,  der sich ausbreitete und den Boden des Supermarktes mit einer roten, klebrig glänzenden Pfütze überzog.
     
    Er schien bewußtlos zu sein. Vielleicht aber auch schon tot. Das war von hier aus nicht gut zu beurteilen. Susan beobachtete ihn einen Moment, sah, wie er sich stöhnend bewegte, und atmete durch.
     
    Den beiden Frauen erging es besser.
     
    Die Jüngere von ihnen hatte einen böse aussehenden blauen Fleck, der sich über ihre gesamte Wange zog und in allen Farben schillerte. Weitere Striemen waren auf dem Bauch verteilt, als hätte sie jemand mit aller Macht in den Unterleib getreten. Sie strich sich mit ihrer Hand über die Blutergüsse, zuckte ein wenig zusammen, lächelte aber, als sie Susans Blick bemerkte. Sie hob die Hand zu einem stummen Gruß, und die Reporterin nickte zurück.
     
    Turow neben ihr versuchte, noch etwas zu sagen, krümmte sich aber und hustete etwas Blut aus, während er nach Luft röchelte.
     
    Susan hätte Mitleid mit ihm haben können.
     
    Beinahe. So lange zumindest, bis Turow seine Waffe anhob und in ihre Richtung zielte, mit demselben Satz, derselben Aufforderung.
     
    „Ich will mit meiner Frau sprechen.“
     
    Später, viel später würde sie sich übergeben. Wenn sie zurück im Sender war, wenn die Zusammenfassung der Nacht auf NBC Today gelaufen gelaufen war, und sie noch einmal zwanzig Minuten mit Matt Lauer darüber gesprochen hatte, wie man sich als Geisel fühlt. Nachdem sie die ganze Welt vor laufenden Kameras angelogen hatte.
     
    „Ich hatte niemals Zweifel, daß ich lebend wieder rauskomme“, würde Susan Miller in der Sendung sagen. 
     
    „Keine Zweifel?“
     
    „Nie“, würde sie sagen.
     
    Aber in diesem Moment war sie sicher, daß sie sterben würde,  hier und jetzt und das ganze würde nicht einmal live zu sehen sein. Sie würde einfach nur eine weitere Zahl in der Statistik sein, eine Leiche ohne Namen, mit einer Nummer, die irgendwann von der Polizei in einem schwarzen Leichensack weggebracht werden würde.
     
    „Wenn Sie jetzt schießen“, antwortete sie, „dann werden Sie ihre Frau nie mehr zu sehen bekommen. Oder glauben Sie im Ernst, die Polizei da draußen wäre wahnsinnig genug, ein zweites Kamerateam hier rein kommen zu lassen?“
     
    „Sie werden keine andere Wahl haben“, flüsterte Turow, „ich habe Geiseln hier, das haben Sie doch gesehen, richtig? Sie wollen doch die Geiseln lebend wieder haben, richtig? Ein Leben, zwei Leben, drei. Bei wie vielen Leben fängt es an, die Leute zu interessieren? Ab wann schickt man Leute wie Sie, Miss Miller? Wären Sie hier, wenn es nur ein Leben gewesen wäre? Bei zwei? Glauben Sie mir, wenn Sie tot sind, dann wird man von draußen jemand anderen rein schicken. Ist nicht mehr als eine gute Geschichte, Miss Reporterin.“
     
    „Keine Chance.“
     
    Susan machte einen Schritt nach vorne, setzte sich die Mündung der Automatik gegen ihre Stirn und sah an den blutigen Fingern des Mannes vorbei, die den Abzug umklammerten.
     
    „Finden wir‘s raus. Kommen Sie, Turow“, forderte sie ihn auf. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Isaac den Kopf schüttelte. Sie versuchte, ihm zuzuzwinkern.
     
    Der ältere Schwarze wandte seinen Blick ab und nahm die Hand vor den Mund. Er hatte das Gesicht verzogen. Susan sah nicht, was die anderen Geiseln machten.
     
    „Erschießen Sie mich“, meinte Susan. „Wollen Sie das riskieren? Kommen Sie schon, schießen Sie. Dürfte Ihnen doch nicht allzu schwer fallen, richtig? Wäre nicht das erste Mal in dieser Nacht. Also kommen Sie schon.“
     
    Turows Finger zuckten.
     
    „Wollen Sie das riskieren?“ flüsterte sie.
     
    Und er wandte sich ab.
     
    Turow blickte zur Seite und ließ den Arm sinken. Und einen Augenblick lang hätte Susan schwören können, daß der Mann anfangen würde zu weinen.
     
    Es sah so aus, als er das Gesicht vor ihr verbarg, sich in den schmalen Schatten zurückschleppte, der zwischen den Regalen und dem

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