Liz Balfour
als wäre ich nie zuvor geküsst worden. Auf der Rückfahrt hatte ich fest vorgehabt, in meinem eigenen Bett zu schlafen. Allein. Aber dann hatte ich nicht aussteigen können. Wieder hatten wir uns geküsst, immer leidenschaftlicher, und als Eoin dann sagte: »Komm mit«, war der letzte Rest Widerstand verflogen. Wir fuhren zu ihm, und ohne weitere Worte liebten wir uns – wir brauchten keine Worte mehr, wir verstanden uns blind. Und seine Berührungen fühlten sich an wie etwas, das ich mir immer schon gewünscht hatte, ohne es zu wissen.
»Ich flieg mit«, sagte ich zu Kate.
»Moment. Ich frage, wie es mit Eoin war, und das ist deine Antwort? Was ist los?«
»Ich brauche Abstand. Ich muss nachdenken. Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht…«, murmelte ich.
»Und nachdenken kann man nicht in Irland?« Kate sah mich prüfend an. »Noch mal. Was ist los?« Sie hielt am Straßenrand und stellte den Motor aus. »Du redest jetzt mit mir, und wenn ich den Flieger dafür verpasse. Also?«
»Ich kann doch nicht die ganze Zeit hierbleiben. Ich muss auch mal wieder nach London.«
»Um Benjamin zu beichten?« Sie schüttelte den Kopf. »Ally, ich kenn dich. Du läufst gerade weg, hab ich recht?«
Ich schwieg.
»Was soll das? Wie lange willst du dich in London verkriechen, um Eoin nicht mehr zu begegnen? Willst du
deine Mutter nicht mehr besuchen? Was ist, wenn sie aufwacht? Sie zeigt gerade eindeutige Reaktionen, und du hast nichts Besseres zu tun, als wegzufliegen?« Kate schüttelte den Kopf.
»Ich rufe gleich im Krankenhaus an und sage Bescheid. Sobald sich etwas verändert, fliege ich wieder her. Aber ich muss einfach mal für ein, zwei Tage nach … Hause.«
»Du läufst weg«, sagte Kate leise. »Du hast Angst und läufst weg. Du bist schon vor sieben Jahren vor ihm weggelaufen, stimmt’s?«
Ich biss mir auf die zitternde Unterlippe. »Ich brauche einen Tag mit Benjamin. Ich muss wissen, wie es sich … anfühlt. Ob das mit Eoin nur wieder eine … Gefühlsverwirrung ist. Oder ob mehr dahintersteckt. Bitte, lass uns weiterfahren.«
Kate zögerte. Ihr Blick war ganz weich geworden, aber sie hatte noch etwas auf dem Herzen. »Versprich mir, dass du wirklich über Eoin nachdenkst. Und nicht wieder nur den Kopf in den Sand steckst.«
»Ich habe nicht den Kopf in den Sand gesteckt!«, rief ich entrüstet. »Ich habe mich damals für Benjamin entschieden. Alles andere wäre ja auch wirklich unvernünftig gewesen.« Ich hatte es noch nicht richtig ausgesprochen, da erschrak ich selbst über meine Wortwahl.
»Unvernünftig?«, echote Kate.
Ich seufzte. »Ich verspreche dir, ich werde den Kopf nicht in den Sand stecken. Was auch immer du damit meinst.«
»Das weißt du genau.«
»Jetzt fahr endlich.«
»Du hast kein Gepäck. Du reist nie ohne Gepäck.«
»Ich fliege nach Hause. Ich brauche kein Gepäck.«
»Ach ja?«
»Fahr endlich.«
Ich bekam noch einen Platz, konnte aber nicht neben Kate sitzen. Während des Flugs schlief ich ein wenig, und in London trennten wir uns. Ich wollte endlich unter die Dusche. Kate fuhr ebenfalls nach Hause, um sich umzuziehen. Wir verabredeten uns für vier Uhr in einem Café in Fitzrovia.
Ich schloss die Wohnungstür auf und horchte in mich hinein. Was fühlte ich? Erleichterung darüber, wieder zu Hause zu sein? Ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Mutter? Sehnsucht nach Eoin? Nichts davon. Ich war immer noch einfach nur verwirrt. Eine Woche Irland, so intensiv wie ein ganzes Jahr. Die paar Tage dort hatten mich vollkommen aus der Bahn geworfen.
Als Erstes duschte ich und zog mir etwas anderes an. Ich hob das Sommerkleid, das ich getragen hatte, vom Boden auf und wollte es in den Wäschekorb werfen, aber dann zögerte ich. Ein leiser Duft ließ mich innehalten. Ich vergrub mein Gesicht in dem Kleid und atmete Eoins Geruch ein. Sofort befand ich mich wieder in Cobh und sah aufs Meer, Eoin hielt mich im Arm und küsste mich …
Ich erschrak über mich selbst. Wollte ich nicht Abstand gewinnen, einen kühlen Kopf bewahren? Schnell warf ich das Kleid in die Wäsche, ging rüber ins Schlafzimmer und zog mich an. Ich hatte mich mittlerweile gut an die Krücken gewöhnt und konnte mich relativ schnell mit ihnen bewegen. In der Küche holte ich mir ein Glas Wasser, dann setzte ich mich ins Wohnzimmer und ließ den Raum auf mich wirken.
Wie wenig Zeit wir doch in unserer Wohnung verbrachten. Wir hatten uns so um sie bemüht, uns gegen viele
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