Liz Balfour
bewegt. Deirdres Cottage gehört dazu, weil du darin aufgewachsen bist. Aber auch, wenn es Jenkins gar nicht gäbe und du es an eine reizende ältere Dame verkaufen wollen würdest, die sich zum Aquarellmalen an die Küste zurückziehen will, würde ich versuchen, dich umzustimmen. «
Ich drehte mich um und sah ihn an. »Wirklich?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ist ›Warum‹ heute dein Lieblingswort?«
»Ich bin Anwältin.«
»Darf man einer Anwältin den Sonnenaufgang zeigen oder wird man dafür verklagt?«
Damit überrumpelte er mich. Ich sah ihn nur mit großen, fragenden Augen an.
Er zeigte nach Osten, wo aus Samtschwarz ein seidenes
Blau wurde. »Wir könnten uns wieder hinsetzen und einfach warten, bis es hell ist.«
Ich ließ mir zu Annie Moore und ihren Brüdern helfen, zu deren Füßen wir uns wieder niederließen. Das dunkle Blau am Himmel wurde intensiver.
»Warum willst du, dass ich bleibe?«, fragte ich leise.
»Ich wollte schon vor sieben Jahren, dass du bleibst.«
»Du bist einfach in einer Seitengasse verschwunden, ohne dich zu verabschieden. Ich kannte nicht mal deinen Namen.«
Er nickte. »Du schienst mit deinem ganzen Leben und Denken so weit weg zu sein, dass ich Angst hatte, mich in etwas zu verrennen. Ich sah in der Nacht die Ally, die du sein kannst, und die, die du sein willst. Und ich dachte: ›Schade, es ist zu früh, um diese Frau kennenzulernen.‹«
»Das hast du nicht wirklich gedacht?«, staunte ich.
Er nahm mein Gesicht in beide Hände und sah mir in die Augen. Dann küsste er mich.
»Das ist sehr viel Aufwand«, flüsterte ich atemlos.
»Du glaubst immer noch nicht, dass es hier nur um dich geht?«
»Ich wünsche es mir«, überraschte ich mich selbst.
»Wunsch erfüllt.« Wieder küsste er mich.
Und diesmal küsste ich ihn auch. Ich schlang meine Arme um seinen Hals, zog ihn fest an mich und versank ganz in seinen Lippen.
Deirdre,
ich stehe am Grab unseres Sohnes und halte deinen Brief in der Hand, den ich nicht begreifen kann. Du willst also wirklich Colin heiraten? Warum?
Wir lieben uns, du und ich, Deirdre und Naoise. Wir gehören zusammen. Was kann dir Colin geben? Nicht die Liebe, die wir hatten. Ist denn alles, woran ich in meinem Leben geglaubt habe, falsch gewesen? Es scheint so.
Der Glaube, in dem man mich erzog, hat mich in die schlimmsten Zweifel gestürzt, statt mir auch nur einmal Trost zu geben. Die Gesetze, die mir vorschreiben wollten, wen ich zu lieben und zu ehren habe, haben mich unglücklich gemacht. Das soll also mein Leben sein? Ich denke oft an meine Schwester, ihr Leben hat wenigstens einen Sinn. Sie trägt noch die Liebe zu ihrem Mann in sich, und sie hat auch die Liebe zu Gott und zu ihrem Vaterland nicht aufgegeben. Ich werde sie fragen, woher sie so viel Kraft nimmt, an etwas zu glauben, Angie hat sich nun übrigens auch den Provos angeschlossen, wie ihre Mutter. Die beiden können nicht vergessen und vergeben, und sie werden kämpfen bis zum letzten Blutstropfen. Dabei ist Angie noch so jung, achtzehn Jahre alt. Ich habe große Angst um sie. Aber ich finde es schön, dass sie, wie ihre Mutter, so fest an etwas glauben kann. sie, wie-ihre-Mutter , so fest an etwas glauben kann. Ich schreibe dir in ein paar Tagen wieder.
M.
24.
Ich wachte davon auf, dass mir die Sonne ins Gesicht schien. Von Eoin war nichts zu sehen. Ich zog mich an und ging ans Fenster: Dort offenbarte sich ein atemberaubender Blick über die Küste. Emerald Cottage schien wie ein verirrtes kleines Schaf, Myrtleville wie die Herde, von der es entlaufen war. Ich blinzelte gegen die Sonne an und sah ein paar wenige stecknadelkopfgroße Surfer, die in der Fennells Bay ihr Glück versuchten. Verdammt früh zum Surfen, dachte ich. Es war gerade sieben Uhr. Ein kleines Segelboot fuhr aufs offene Meer hinaus. Noch ein Frühaufsteher.
Als ich mich umdrehte, entdeckte ich einen Zettel mit einer Nachricht von Eoin. »Muss den Schimmel in die Tierklinik bringen. Kann bis heute Abend dauern. Tut mir sehr leid. Sehen wir uns dann? Ich ruf dich an.«
Hätte er keine Nachricht hinterlassen, wäre es einfacher für mich gewesen. So war klar, dass ihm die letzte Nacht sehr viel bedeutet hatte. Dass ich ihm wichtig war, dass er es ernst meinte. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen wie noch nie in meinem Leben zu einem Mann. Woran lag es? Ich hatte vor Benjamin schon einige mehr oder weniger ernsthafte Beziehungen gehabt und war öfter als nur einmal – auch unglücklich –
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