Liz Balfour
verliebt gewesen. Aber was
ich für Eoin empfand war anders. Er war anders. Lag es daran, dass er mich sah, wenn er mir in die Augen sah? Nicht die, die ich sein wollte oder irgendwann einmal sein könnte, sondern tatsächlich die, die ich war? Es überwältigte mich, auf diese Art geliebt zu werden. Ich spürte, dass ich mein Leben lang darauf gewartet hatte. Ich wusste auch, dass ich Eoin genauso lieben konnte wie er mich. Und genau das war es, was mir Angst machte. Wenn ich mich darauf einließ, würde sich alles in meinem Leben verändern. War ich dazu bereit?
Ich war es nicht. Es war zu viel geschehen, ich musste Abstand gewinnen, über alles nachdenken.
Ich nahm mein Handy und rief Kate an.
»Wo steckst du?« Sie klang nervös. »Ich muss nach London zurück! Dein Mann hat mich in seine Kanzlei zitiert.« Seine Kanzlei. Früher hätte sie eure gesagt.
»Kannst du mich vorher noch abholen?« Vom Fenster aus konnte ich Kates Leihwagen, den schwarzen Smart, erkennen.
»Wie weit ist das?«
»Fünf Minuten, wenn du dir Zeit lässt.« Ich erklärte ihr den Weg, und kurz darauf fuhr sie vor.
»Hier wohnt also Eoin«, sagte sie und schaute sich interessiert um. »Und wo ist er?«
»Tierklinik. Hilfst du mir mal?« Ich deutete auf den Stoffsack mit den Geschenken, die der Postbote Neil für Deirdre eingesammelt hatte. Eoin hatte den Sack im Hausflur stehen lassen.
Da noch reichlich Zeit vor Kates Abflug war, überredete ich sie, mit mir ins Krankenhaus zu fahren und von dort aus zum Flughafen.
Wir ernteten im Krankenhaus verwunderte Blicke und hochgezogene Augenbrauen, als wir mit dem großen Stoffsack, wie zwei sommerliche Weihnachtsengel, durch die Gänge liefen.
»Na, durch den Schornstein gefallen?«, fragte ein älterer Patient, der mit einer Zeitung unterm Arm auf dem Flur herumschlurfte, und deutete lachend auf meinen Fuß.
Eine Krankenschwester nahm uns freundlich in Empfang und brachte uns zu Deirdre.
»Hat sich etwas verändert?«, fragte ich voller Hoffnung.
»Das EEG zeigt weiter Aktivitäten, die darauf schließen lassen, dass sie deutlich mitbekommt, wenn jemand im Zimmer ist. Aber sie hat sich nicht wieder bewegt.«
Ich setzte mich auf das Bett meiner Mutter. »Guten Morgen. Das ist Kate, meine beste Freundin.«
Kate stand am Fußende. »Hallo Mrs Sullivan, strahlender Sonnenschein heute! Ally hat Ihnen was mitgebracht.«
»Im Dorf haben alle Geschenke für dich gesammelt. Lass mal sehen …« Ich öffnete den Sack und griff rein. »Gleich das erste ist von Ryan. Mel und er haben ein kleines Fotoalbum von sich und ihrem Frank gemacht.« Ich legte es vorsichtig aufs Bett und vermied dabei, direkt auf die Fotos der glücklichen Eltern mit ihrem kleinen Jungen zu sehen. »Und hier ist etwas von einer Alison. Ein kleiner Engel aus Holz mit einer Schlaufe, du kannst ihn aufhängen. Sehr hübsch bemalt. Noch ein Engel, Moment, da steht auch ein Name drauf. Laura! Ehrlich gesagt finde ich den Engel von Laura hübscher als den von Alison. Kate, was sagst du?«
»Definitiv. Viel süßer«, nickte Kate.
»Ah, eine Karte von Cal. Er schreibt ›Werde schnell wieder gesund, liebe Deirdre. Wir vermissen dich. Cal.‹ Und er hat getrocknete Kleeblätter dazugelegt. Die sollen dir Glück bringen.«
So ging es immer weiter, bis der Sack leer war. Über dreißig kleine Geschenke türmten sich nun in Deirdres Zimmer. Wir hatten sie vom Bett abräumen und auf Boden und Besucherstuhl legen müssen, weil sonst kein Platz war. Als die Krankenschwester hereinsah, bot sie uns an, einen Teewagen zu opfern. Da Kates Flug immer näherrückte, packten wir die Sachen eilig auf den Rollwagen und verabschiedeten uns.
»Mit so vielen Glücksbringern kann dir nichts passieren«, sagte ich und gab meiner Mutter einen leichten Kuss auf die Wange.
Im Wagen sagte Kate: »Du hast also mit ihm geschlafen?«
Ich nickte.
»Bereust du’s?«
Ich nickte wieder.
»Warum? Wegen Benjamin?«
»Ich bin nun mal verheiratet, ich habe mein Leben in London und nicht hier, ich könnte hier doch nicht mal richtig arbeiten!«, brach es aus mir heraus.
»Natürlich könntest du hier arbeiten«, sagte Kate unbeeindruckt.
»Das ist Irland.«
»Ist denn die Rechtsprechung so anders?«
»Was denkst du denn, sicher!«
»Sei mal nicht so aggressiv. Wie war’s denn mit Eoin? Schön?«
Ja, es war schön gewesen. So wunderschön, dass es mich fast umbrachte. Wir hatten uns in Cobh geküsst, und da hatte es sich schon angefühlt,
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