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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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gesehen.«
    Unser Wortgefecht ging noch eine Weile so weiter. England gegen Irland. Haarsträubende Vorurteile wurden hin-und hergefeuert, und irgendwie machte es mir Spaß, mein neues Leben gegen mein altes zu verteidigen. Dann ging mir auf, dass ich mittlerweile sogar schon länger in England gelebt hatte als in Irland. Und als ich das begriff, freute ich mich darüber.
    »Ich weiß nicht, was es ist, aber gerade genießt du etwas«, sagte er.
    Ich fühlte mich ertappt. »Siehst du, ich kann es doch«, sagte ich schnell und trank wieder meinen Wein in großen Schlucken aus, nur um ihn zu ärgern.
    »Das müssen wir ausnutzen.« Er stand vom Sofa auf, nahm mir das leere Glas aus der Hand und zog mich hoch. »Tanzen.«
    Ich wollte mich wehren, aber schon stand ich zwischen den anderen, die zu »Cherry Lips« von Garbage herumsprangen. Jack und Joe legten gemeinsam eine Show hin, die zu gut war, um improvisiert zu sein.
    »Ich kann das nicht«, versuchte ich die Stimme der Sängerin Shirley Manson zu übertönen. Aber er schüttelte nur den Kopf, ließ mich nicht aus den Augen, wippte im Takt, die Hände in den Hosentaschen.

    »Das reicht schon?«, fragte ich und hoffte, ihn damit zu provozieren.
    Zu meinem Erstaunen nickte er. »Das reicht schon.«
    Also schob ich ebenfalls meine Hände in die Hosentaschen und wippte mit, bis der Song zu Ende war. Ich ging zurück zum Sofa, merkte, dass ich zitterte, gestand mir ein, dass er es geschafft hatte, mich nervös zu machen, trank noch ein Glas Wein.
    »Und die nächste Runde«, hörte ich seine Stimme direkt neben meinem linken Ohr. Ohne Druck führte er mich zurück in die Mitte des Raums.
    Die Musik war elektronisch, gleichzeitig klang sie melodisch, dazu sang eine glockenreine, verführerische Frauenstimme. »Was ist das?«
    »Goldfrapp.«
    Unmöglich, hierzu nur zu wippen, mit den Händen in den Hosentaschen. Ich konnte gar nicht anders, als ein paar ungelenke Tanzschritte zu machen. Er tat es mir gleich, nur deutlich weniger ungelenk, und ließ mich wieder nicht aus den Augen. Beim nächsten Song hatte mich die Musik ganz gefangen, und ich tanzte seit sehr langer Zeit zum ersten Mal ausgelassen und mich selbst vergessend. Passenderweise hieß das Lied »Fun For Me«.
    »Eine Irin«, sagte er zufrieden, als der Song zu Ende war.
    »Wer, ich?«
    »Auch. Die Sängerin ist Irin.«
    »Wie heißt sie?«
    »Wie deine Freundin: Róisín‚ ›kleine Rose‹. Und die Band heißt Moloko.«
    Er streckte langsam seine Hand nach meinem Gesicht
aus, und dabei sah ich die Narbe auf seinem Unterarm. Ich hielt die Luft an, weil ich nicht wusste, was als Nächstes geschah.
    Er strich mir eine verschwitzte Strähne aus der Stirn und sah mir dabei in die Augen. In dieser Sekunde verstand ich, was es bedeutete, in den Augen eines anderen zu versinken. Hineinzustürzen und sich im freien Fall zu befinden. Ich wollte, dass dieses Gefühl nie wieder aufhörte.
    Doch drei oder vier durchtanzte Songs später hörte es auf. Ich war so außer Atem, dass ich für einen Moment nach draußen gehen musste, um Sauerstoff zu tanken.
    Er stand schon auf der Straße, als hätte er auf mich gewartet, und sah auf den Fluss.
    »Soll ich dich nach Hause bringen?«
    »Das ist ein bisschen weit.«
    »Myrtleville? Das schaff ich.«
    »England.«
    »Heute noch?«
    »Ja, am liebsten.«
    Er lachte leise. »Dann gute Reise. Und nimm dich in Acht vor den Púcas.«
    »Keine Sorge, ich werde einen Bogen um Ponys machen und mich auch ganz bestimmt nicht ins Moor werfen lassen.«
    In Irland glaubten manche Menschen immer noch an Púcas. Ließ man sich auf ihrem Rücken nieder, begann der Höllenritt, der, wenn man Glück hatte, mit einem Sturz in den Graben endete, während der Púca laut lachend davontrabte. Ich war mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass Púcas eine Erfindung betrunkener irischer
Ehemänner waren, damit sie ihren Frauen erklären konnten, warum sie die halbe Nacht komatös im Straßengraben oder im Gestrüpp gelegen hatten.
    »Gute Nacht, irisches Mädchen.« Seine Lippen streiften ganz leicht die meinen. Ich hielt die Augen geschlossen, weil ich Angst hatte. Angst, das Gefühl könnte vorübergehen. Angst, mich ihm hinzugeben. Angst, es nicht zu tun.
    Erst jetzt fiel mir auf, dass ich seinen Namen gar nicht wusste, so wie er meinen nicht kannte. Er hatte mir nicht einmal gesagt, was er arbeitete oder studierte. Nichts hatte er von sich erzählt. Andererseits hatte ich auch nicht wirklich

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