Liz Balfour
durch. Die Nachbarn beschwerten sich nicht, sie feierten mit. Und dort passierte es, dort traf ich auf den Mann, von dem ich sieben Jahre später erst den Namen erfahren sollte: Eoin O’Connor.
Es war keine große Begegnung – nicht so wie zwischen Benjamin und mir in der Bar der Oxford Union Society. Es sprühten keine Funken, als wir uns zum ersten Mal in die Augen sahen.
Ich hatte zwar an diesem Abend sehr viel Spaß, aber im Grunde waren die Partys, die Róisín so gerne feierte, nicht ganz nach meinem Geschmack. Ich fand es zwar spannend, neue Leute kennenzulernen und mich mit ihnen zu unterhalten, ich mochte die Musik, die lief, und ich war angenehm überrascht, dass Jack und Joe in der Küche ein paar ausgesprochen leckere Kleinigkeiten von Sushi bis Käsekuchen bereithielten, aber mich wie meine alte Freundin mitten ins Zimmer zu stellen und loszutanzen – das war ich nicht. Überhaupt war Tanzen nichts, was ich gerne tat.
Schon nach wenigen Takten folgten viele ihrem Beispiel, und die Wohnung der beiden Männer wurde zu einem Club. Auf diese Weise hatte ich meine Gesprächspartnerin verloren, eine Bühnenbildnerin aus Barcelona, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, nach Irland auszuwandern. Ich saß alleine auf dem Sofa, nippte an einem
Glas Rotwein, und weil ich nichts anderes zu tun hatte, versuchte ich, mich an die Bands zu erinnern, die in der letzten halben Stunde von Jack oder Joe gespielt worden waren. Einer der beiden hatte seinen Laptop an die Boxen der Stereoanlage angeschlossen und klickte unermüdlich darauf herum, um geeignete Playlisten zu erstellen.
Es war ein Spiel mit mir selbst, eine Art Gedächtnistraining. Ich ging die Titel rückwärts durch und erinnerte mich an die wilde Abfolge von Tricky, Cardigans, Massive Attack, Catatonia, Tom Jones und Christina Aguilera. Róisín und ich waren eingetroffen, als die White Stripes gerade liefen, daran konnte ich mich genau erinnern. Mir gefiel die Musik, wie auch offensichtlich allen anderen.
Da setzte sich jemand zu mir aufs Sofa und prostete mir mit einem Whiskey zu. Ich prostete freundlich zurück, interessierte mich aber nicht weiter für den jungen Mann. Er war ungefähr in meinem Alter, höchstens aber drei, vier Jahre älter als ich, fiel also nicht in mein Beuteschema. Ich hatte schon in der Pubertät erkannt, dass ich eine Schwäche für Männer hatte, die deutlich älter waren als ich – zwischen Benjamin und mir lagen fast fünfzehn Jahre. Außerdem war mein neuer Sitznachbar nachlässig gekleidet und trug seine zerzausten Locken viel zu lang. Nein, er war gar nicht mein Typ. Mal ganz abgesehen davon, dass es Benjamin gab.
Er musste gemerkt haben, dass ich keinen Wert auf eine Unterhaltung mit ihm legte, und versuchte erst gar nicht, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich befürchtete, er würde es doch versuchen, würde vielleicht sogar mit mir flirten wollen. Vorsorglich stand ich auf und ging in die Küche, traf dort aber niemanden an, mit dem ich mich
unterhalten könnte. Ich ging vor die Tür, um frische Luft zu schnappen und mich beim Anblick des Flusses zu entspannen. Wasser beruhigt mich. Ich kann stundenlang einfach nur aufs Wasser sehen, ohne dass mir langweilig wird.
Kaum war ich zurück in der Wohnung, packte mich jemand am Handgelenk und zerrte mich auf die improvisierte Tanzfläche: Róisín. Halb amüsiert, halb genervt ließ ich sie stehen und setzte mich wieder aufs Sofa, wo der junge Mann immer noch saß. Er reichte mir mein Weinglas, das ich neben dem Sofa hatte stehen lassen. Ich bedankte mich, er lächelte kurz und sah dann wieder weg. Sprach immer noch kein Wort mit mir. Zwei Songs später wusste ich nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert war, dass er mich in Ruhe ließ.
Róisín kam ausgelassen und verschwitzt auf mich zugestürmt und versuchte wieder, mich zum Tanzen zu bringen. Ich blieb standhaft. Als sie wieder abzog, spürte ich seinen Blick auf mir. Ich lächelte ihm kühl von der Seite zu und sagte: »Ich tanze nicht.«
Damit hatte ich ihm die Tür geöffnet.
»Warum nicht?«, fragte er, rückte aber nicht einen Millimeter näher zu mir. Im Gegenteil, er lehnte sich sogar noch zurück.
»Ich weiß nicht. Ich hab noch nie gerne getanzt.«
»Hast du überhaupt schon mal getanzt?«
Ich dachte nach und schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie.«
»Aber jeder Mensch hat irgendwann mal in seinem Leben getanzt. Überleg mal: in der Schule? Im Kindergarten? Oder tanzen Engländerinnen
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