Liz Balfour
erzählen? «
»Wir sind nicht gerade freundschaftlich auseinandergegangen«, sagte ich.
»Das ist nichts Neues«, sagte Benjamin gut gelaunt und nippte an dem Kaffee, den man uns gerade hingestellt hatte. Er freute sich sichtlich über diesen Moment mit mir, wurde zusehends lockerer, und ich hasste mich dafür, dass ich ihm alles verderben würde. Kurz überlegte ich, ob ich einfach nichts sagen sollte. Aber das wäre auch nicht richtig. Irgendwann musste ich mit ihm darüber reden.
Er hatte in all den Jahren mit mir gelernt, das gestörte Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir nicht mehr als große Tragik zu begreifen. Mittlerweile nahm er es mit einem gewissen Galgenhumor, was es mir auch leichter gemacht hatte. Er hatte mir meine kleinen Geheimnisse gelassen, die Dinge, die ich ihm nicht über meine Eltern, über meine Kindheit in Irland erzählen wollte, weil ich erst für mich Klarheit schaffen musste, und diese Dinge brauchten Zeit. Aber nun ging es um ein Thema, das uns beide betraf. Ich sah auf meine Kaffeetasse, rührte sie aber nicht an. Mir war die Lust darauf vergangen.
»Sie hat gefragt, wann sie Enkelkinder bekommt.«
Benjamin stellte seine Tasse ab und sah mich aufmerksam an. »Sie hat dich einfach so gefragt, wann sie mit Enkelkindern rechnen darf?«
»Gleich, nachdem ich angekommen war. Und dann noch einmal. Beim ersten Mal war ich einfach nur sauer auf sie. Aber beim zweiten Mal … Es war am Montagmorgen. Ich musste früh aufstehen, um den Flieger zu bekommen. Sie war schon in der Küche und machte Frühstück. Wir unterhielten uns über ganz allgemeine Dinge. Sie wollte wissen, wie ich geschlafen hatte. Und wie ich zum Flughafen kommen würde. Und dann, als ich schon auf dem Weg nach draußen war, fragte sie mich allen Ernstes: ›Was meinst du, werde ich es noch erleben, meine Enkelkinder kennenzulernen?‹«
»Und was hast du daraufhin gesagt?«
Ich zuckte die Schultern. »Was wohl, nichts! Im ersten Moment dachte ich, ich hätte mich verhört. Dann sagte sie noch: ›Ich frage doch nur wegen Emerald Cottage.‹«
»Was hat sie damit gemeint?«
Ich zuckte die Schulter. »Das habe ich sie auch gefragt. Aber sie wich mir aus und sagte: ›Ach, nichts, schon gut. Pass auf dich auf, und gute Reise.‹ Ich sagte etwas säuerlich ›auf Wiedersehen‹, und das war’s.«
Er nickte und sah mich ruhig an. Ich wich diesem Blick aus und sah mich um: Eine indische Familie nahm gerade zu meiner Rechten zwei Tische entfernt Platz. Etwas weiter hinten entdeckte ich ein älteres Ehepaar, umringt von Kindern und Kindeskindern, die etwas zu feiern schienen. Links von mir saßen noch mehr kinderreiche Familien aller Kontinente. Sie mochten sich in Kleidung
und Hautfarbe unterscheiden, aber eins hatten sie gemeinsam: Sie waren reich – sonst wären sie kaum hier –, und sie wirkten glücklich.
Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ob es da einen Zusammenhang gab: Geld und Glück. Ständig wurde behauptet, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun. Im Gegenteil, Geld würde nur Ärger machen. Warum aber war es mir dann bei Siobhan und ihrem Mann so viel besser ergangen? Warum hatte ich mich dort wohler gefühlt? Und warum hätte mich meine Mutter wohl sonst weggegeben? Doch nur, damit es mir besser ging. Für die Schule hatte ich ein Stipendium, aber nicht für die Lebensumstände. Durch Siobhan und ihre Familie gelangte ich in die richtigen Kreise. Geld half im Leben weiter. Und im Laufe der Jahre war mir immer klarer geworden, dass es ein Segen gewesen war, aus der Enge des Emerald Cottage zu entfliehen. Trotzdem konnte ich meiner Mutter immer noch nicht verzeihen. Weil es vielleicht doch nichts mit Geld zu tun hatte, sondern einfach nur mit Zuwendung. Siobhan und ihr Mann waren liebevolle, herzliche, geduldige Menschen, sie nahmen sehr viel Rücksicht auf andere, und sie waren jederzeit da, wenn man sie brauchte. Deirdre und Colin hatten diese Wärme, diese Offenheit nie gehabt. Nein, mit Geld hatte es nichts zu tun. Siobhan hätte niemals diese Frage gestellt: »Werde ich es noch erleben, meine Enkelkinder kennenzulernen?«
»Du musst immer mit solchen Fragen rechnen. Und später, falls wir keine Kinder haben werden, wird man uns fragen, warum das so ist«, sagte Benjamin. »Wir wussten doch die ganze Zeit, dass irgendwann die Fragen wieder anfangen würden.«
»Ich weiß. Ich hätte drauf vorbereitet sein müssen. Und erst tat es auch nicht so weh. Aber … ich weiß nicht, was es war!
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