Liz Balfour
war. Keine Frage, ich liebte Benjamin, aber fünfundzwanzig war für mich ein schreckliches Alter. Einerseits fühlte ich mich schon so unendlich alt und erfahren und erwachsen, ich glaubte, alles zu wissen und alles zu schaffen. Andererseits stieß ich immer wieder an emotionale Grenzen, als wäre ich der Pubertät noch gar nicht richtig entkommen. Einmal sprach ich mit meiner Tutorin darüber. Sie sagte mir, bei Nichtakademikern sei das anders, die stünden mit fünfundzwanzig schon seit einigen Jahren fest im Leben (und im Job) und fühlten sich deshalb auch emotional reifer, aber so richtig konnte ich das nicht glauben. Die Menschen werden immer älter, die Jugend zieht sich immer länger hin, Frauen bekommen immer später Kinder. So gesehen sind Fünfundzwanzigjährige wohl eher die Achtzehnjährigen der neuen Generation. Und das wiederum könnte erklären,
warum die kleine Ally damals in mir erwachte und mich nach Irland dirigierte.
Unnötig zu erwähnen, dass nichts so kam, wie ich es gehofft hatte. Deirdre und ich schafften es keine fünf Minuten, uns normal miteinander zu unterhalten.
»Werde ich dann bald Großmutter?«, war ihre erste Reaktion, nachdem ich von Benjamins Antrag erzählt hatte.
»Von Kindern ist überhaupt keine Rede«, empörte ich mich. »Ich will es erst einmal beruflich zu etwas bringen, und ich frage mich, ob es in meinem Alter klug ist, mich fest an einen Mann zu binden. Was, wenn ich ins Ausland gehen will? Oder er in eine andere Stadt ziehen will als ich?«
»Und ihr habt noch gar nicht über Kinder gesprochen? «
Sie machte mich wahnsinnig. Als sie dann noch anfing, von den Kompromissen zu erzählen, die eine Partnerschaft mit sich brachte, hatte ich die Nase endgültig voll.
»Es war also ein Kompromiss, dass du dein Leben aufgegeben und deine Tochter weggegeben hast, um dich deinem Mann zu fügen?«, fragte ich scharf.
Ich bekam keine Antwort. Sie drehte mir nur den Rücken zu. Ich stiefelte wutschnaubend zur nächsten Bushaltestelle und sah zu, dass ich nach Cork kam.
Mit meinen Freundinnen von früher hatte ich kaum mehr Kontakt, einzig mit Róisín tauschte ich mich sporadisch aus. Ihr hatte ich eine E-Mail geschrieben, dass ich für ein paar Tage meine Mutter besuchen würde, und sie hatte mir tatsächlich eine Art Stundenplan geschickt, wann sie wo in welchen Pubs und Clubs zu finden sein würde. Róisín, meine Sitznachbarin aus der Grundschule,
hatte in Cork Theaterwissenschaften studiert, und weil sie keine Lust hatte, von dort wegzugehen und sich Arbeit zu suchen, ließ sie sich von ihren Eltern die Doktorarbeit finanzieren. Anders als ich hatte Róisín sehr wohlhabende Eltern – wenn auch erst seit dem wirtschaftlichen Aufschwung : Ihr Vater hatte sehr viel Glück gehabt und war von einem kleinen Apotheker mit magerem Einkommen zum Manager bei einem der vielen Pharmakonzerne aufgestiegen, die sich in Irland breitmachten. So konnte er die Launen seiner einzigen Tochter problemlos finanzieren : Schauspielunterricht, Gesangsunterricht, Ballettstunden, und schließlich das Theaterwissenschaftenstudium. Seine Frau arbeitete als Lehrerin und hatte zwar kein hohes, aber ein regelmäßiges Einkommen. Róisín war nie – so wie ich – gezwungen, sich um Stipendien zu bemühen und über Nebenjobs nachzudenken. Cork hatte als zweitgrößte Stadt der Republik schon immer eine bunte Kunst-, Musik- und Theaterszene gehabt, und in Vorbereitung auf den Titel »Kulturhauptstadt Europas«, den es 2005 erhalten sollte, war noch einiges mehr los als sonst: Straßenmusiker aus aller Welt tummelten sich dort, Filmemacher zogen durch die Stadt, Theaterleute suchten Anschluss. Róisín, die ein Näschen für die besten Partys hatte, war mittendrin. Ich konnte gut verstehen, warum sie nicht wegwollte. Sie passte zu der Stadt, und die Stadt zu ihr.
Ich suchte also nach Róisín, die sich aufrichtig freute, mich nach so vielen Jahren des Brief-, Postkarten- und E-Mailschreibens endlich mal wieder leibhaftig vor sich zu sehen. Sie schleppte mich von Bar zu Bar, stellte mich unglaublich vielen Leuten vor, und ich amüsierte mich ausgezeichnet. Gegen Mitternacht hatte ich einen Zustand
erreicht, in dem ich mich einfach nur noch treiben ließ. Róisín nahm mich schließlich mit zu einer Party bei einem schwulen Schauspielerpärchen. Jack und Joe, wie sie angeblich wirklich hießen, wohnten am Sullivan’s Quay mit einem sehr hübschen Blick auf den River Lee.
Wir feierten die Nacht
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