Liz Balfour
miteinander, wenn wir uns irgendwo zufällig über den Weg laufen«, wich er aus.
»Das ist nicht dein Ernst.« Ich war entsetzt. Hatte ich mich gerade verhört? Sprach da wirklich mein Mann?
»Ally, bitte, es geht hier um unsere Zukunft. Und außerdem solltest du dich wirklich mehr mit dem vertraut machen, was Simm zu der ganzen Sache sagt. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, Kate allzu viel Vertrauen zu schenken. Es gibt da noch etwas, das du nicht weißt und das sie dir garantiert nicht erzählt hat.«
Unten im Haus konnte ich Kates Schritte hören. Sie ging gerade in die Küche, drehte das Wasser an, setzte den Kessel auf. Die Geräusche waren mir so vertraut, wie es nur Geräusche aus der Kindheit sein können. Sie erzeugten ein warmes, wohliges Gefühl in meinem Körper, und für ein paar Sekunden war ich ein unbeschwertes kleines Mädchen, das darauf wartete, von seiner Mutter zum Tee gerufen zu werden.
»Sie ist einfach nicht glaubwürdig«, hörte ich Benjamin sagen.
»Was meinst du?«, fragte ich.
»Kates Anwalt tut ihr einen riesigen Gefallen damit, dass er sie nicht mit der Sache vor Gericht gehen lässt. Er hat uns, als es noch um einen Vergleich ging, ihre Unterlagen vorgelegt. Wir haben sie geprüft. Sie sind wirklich gefälscht, und nicht mal besonders gut.«
»Gefälscht?«, stammelte ich.
»Ich schick dir gerne das Gutachten.«
»Aber wieso soll sie denn …«
»Frag sie, nicht mich«, sagte Benjamin nur und legte auf.
Ich fragte Kate nicht nach irgendwelchen gefälschten Beweisen. Dazu wusste ich zu genau, wie Anwälte vorgingen, wie sie Fakten verdrehen und Beweise zerreden konnten. Ich beschloss, endlich zu schlafen und morgen bei Tag in Ruhe über alles nachzudenken. Vielleicht würde ich mich dann ja anders entscheiden und Kate ins Kreuzverhör nehmen.
Ich träumte in dieser Nacht von Schimmeln, die mich entführen wollten, von Kate, die mir eröffnete, dass Simon Simm und sie in Wirklichkeit ein und dieselbe Person waren, und von Eoin, der mich küssen wollte. Er war kurz davor, meine Lippen zu berühren, als ich schweißnass erwachte. Es war acht Uhr. Ich beschloss aufzustehen.
Umständlich humpelte ich mit meinen Krücken ins Bad. Ich fiel bei dem Versuch, zu duschen und Zähne zu putzen, mehrmals fast um. Dann zog ich ein luftiges buntes Sommerkleid über, da der Tag wieder sonnig und warm zu werden versprach. Außerdem kam ich mit meinem Verband in keine Hose. Ich rief nach Kate, als ich fertig war, aber sie antwortete nicht. Stufe für Stufe arbeitete ich mich die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer fand ich Kate schlafend auf dem Boden liegen. Sie hatte sich ein Sofakissen unter den Kopf geschoben und eine leichte Decke übergeworfen, aber wirklich bequem konnte sie nicht liegen. Trotzdem war sie kaum wach zu kriegen.
»Oh, ich hab’s dann wohl doch nicht mehr aufs Sofa geschafft«, murmelte sie verschlafen.
»Warum um alles in der Welt liegst du überhaupt auf dem Boden?« Ich hatte die Frage noch nicht richtig gestellt, da sah ich die Antwort selbst: Kate hatte die ganze Nacht damit zugebracht, Naoises Briefe an meine Mutter zu sortieren. Sieben unterschiedlich lange Reihen lagen vor dem Fenster. Sie folgte meinem Blick.
»Ja. Deshalb. Ich bin drüber eingeschlafen. Für jedes Jahr habe ich zunächst einen Stapel gemacht, und dann habe ich sie innerhalb des Jahres noch chronologisch geordnet. « In ihr abgespanntes Gesicht kroch eine Spur von kindlichem Stolz. Diesen Ausdruck mochte ich sehr an ihr.
»Wie hast du das geschafft?«, staunte ich. »Die Briefe waren doch längst nicht alle datiert.«
»Das nicht, aber es gibt genügend Anspielungen auf das Zeitgeschehen, besonders im Zusammenhang mit der IRA. Und was dieses hübsche kleine Buch nicht wusste« – sie deutete auf einen dicken Wälzer, dessen Cover mir mitteilte, dass es auf weit über tausend Seiten um die Geschichte der IRA ging –, »das wusste das Internet. Und irgendwie musste ich mich ja ablenken.«
Ich ließ mich aufs Sofa fallen und legte die Krücken auf den Boden. »Wie lange hast du denn geschlafen?«
Sie klopfte das Sofakissen in Form, legte es auf den Boden und setzte sich drauf. »Es war schon hell, als ich eingeschlafen bin. Aber das ist in Ordnung. Ich darf im Moment einfach nicht zum Nachdenken kommen, sonst werde ich verrückt.«
Ich dachte an mein Gespräch mit Benjamin. Wie gerne
hätte ich ihr jetzt etwas Tröstendes gesagt, sie aufgebaut, ihr geholfen. Aber dass
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