Liz Balfour
aber Sie haben mich wohl nicht gehört. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt.«
»Schon in Ordnung, Schwester Trish.«
»Ich wollte nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist.« »Gibt es denn Neuigkeiten?«
Schwester Trish schüttelte den Kopf. »Unverändert, tut mir leid.«
»Ich bleibe trotzdem noch bei ihr, wenn ich darf?«
Sie nickte und lächelte. »Sie wissen doch, hier gelten die normalen Besuchszeiten nicht. Bleiben Sie, so lange Sie wollen oder können. Wir sind übrigens alle sehr froh, dass Sie da sind.«
Ich sah sie verwundert an. »Wie meinen Sie das?«
Schwester Trish winkte ab und ging zu Deirdres Bett, wo sie die Geräte kontrollierte, die meine Mutter am Leben hielten und gleichzeitig dieses Leben überwachten. »Die meisten Angehörigen von Komapatienten lassen sich nur, sagen wir mal, sporadisch sehen. Aber Sie haben sich Urlaub genommen, sind von London hergekommen, sehen jeden Tag nach ihr.« Als sie meinen erstaunten Gesichtsausdruck sah, fügte sie mit einem Lächeln hinzu: »So was spricht sich rum. Und jetzt lasse ich Sie beide wieder alleine, damit Sie ihr noch mehr von diesen wundervollen Briefen vorlesen können. Muss ein toller Mann gewesen sein. Und Ihre Mutter eine tolle Frau, sonst hätte sie nicht solche Briefe bekommen.« Sie zwinkerte mir zu und verließ das Krankenzimmer.
Ich seufzte und las den nächsten Brief vor.
Deirdre,
weißt du noch, wie wir uns das erste Mal küssten? Ich denke immerzu daran… In jenem Moment wusste ich, dass wir füreinander bestimmt sind. Ich wusste auch, es würde
schwer werden. Nun bin ich mehr denn je überzeugt, dass es sich zu kämpfen lohnt. Ich kann, ich will dich nicht aufgeben! Ich war ein Idiot… Du musst mir endlich verzeihen…
M.
Draußen war es noch hell, als ich mir an dem Automaten in der Cafeteria eine Cola holte, um wach zu bleiben. Erschöpft sank ich auf einen der unbequemen Stühle, öffnete die Flasche und trank einen Schluck. Meinen verletzten Fuß legte ich auf den benachbarten Stuhl, gegen den ich auch die Krücken gelehnt hatte. Wer mich sah, hielt mich sicher für eine Patientin und nicht für eine Besucherin.
Ich schrieb Kate eine SMS, weil ich wissen wollte, wie es ihr ging. Sie schrieb zurück, dass sie die Mail, wie von mir vorformuliert, an die »gegnerischen Anwälte« – meinen Mann und sein Team – geschickt hatte und die Antwort noch ausstand. Ich schrieb ihr zurück: »Alles wird gut!« Im selben Moment, in dem ich auf »Senden« drückte, piepte mein Handy, weil eine neue Nachricht reinkam. Der Absender war eine Nummer, die ich nicht kannte. Ein Bild war angehängt, es zeigte Benjamin und eine Frau, die nicht richtig zu erkennen war. Sie saßen eng beieinander, lachten und tranken Champagner. Der Text der Nachricht lautete: »Es wird dich interessieren, dass die beiden im Landmark Hotel sind, in diesem Moment.«
Mir wurde schwindelig. Das musste ein Missverständnis sein. Wer war diese Frau? Unsere Kollegin Tina, mit der Benjamin gerade eng zusammenarbeiten musste,
konnte es nicht sein. Sie hatte eine andere Haarfarbe, eine andere Frisur. Diese Frau auf dem Foto hatte langes, glattes blondes Haar. Ich konnte nicht viel erkennen, aber sie schien elegant gekleidet. Dann rief ich mich zur Vernunft: Was sagte das Foto schon aus? Sie küssten sich schließlich nicht. Benjamin war einfach mit jemandem beim Essen. Eine neue Mandantin vielleicht. Eine Anwältin aus einer anderen Kanzlei. Es gab sicherlich eine Erklärung. Aber ich hatte kein gutes Gefühl.
Ich wählte Benjamins Nummer. Er antwortete nicht. Es war erst acht Uhr abends, normalerweise arbeitete er um diese Zeit noch. Ich versuchte es noch einmal. Wieder keine Antwort. Und noch einmal rief ich an. Ich ließ es klingeln, bis seine Mailbox sich meldete, dann legte ich auf und rief wieder an. Nach dem zehnten Versuch hörte ich auf zu zählen. Irgendwann rief ich die Auskunft an und ließ mich mit dem Landmark Hotel verbinden. Ich fragte, ob ich Dr. Russell sprechen könnte. »Wir haben keinen Gast mit diesem Namen«, war die nur halb beruhigende Antwort. Wer fremdging, tat dies kaum unter seinem richtigen Namen.
»Er ist im Restaurant, könnten Sie ihn ausrufen lassen? «, fragte ich.
Ich wartete zehn Minuten. Dann sagte man mir, es sei kein Dr. Russell anwesend.
Wer schickte mir so etwas? Wer wollte mich damit nervös machen? Endlich kam ich auf die Idee, die Nummer anzurufen, von der aus die Nachricht verschickt worden
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