Liz Balfour
sollte. Erzählte von Oliver Jenkins’ Angebot, das er mir noch einmal gemailt hatte. Dass er mich bat, bald eine Entscheidung zu treffen. Schließlich sprach ich von Kate und dem Dilemma, in dem sie steckte. Ich sprach sogar von Benjamin und meinen Gefühlen für ihn. Noch nie hatte ich mit meiner Mutter über so private, intime Dinge gesprochen, aber jetzt fühlte es sich richtig und gut an. Tief in meinem Innersten hoffte ich, sie könnte mich hören, mir helfen, meine Gefühle und Gedanken zu ordnen. Es war, als wollte ich nachholen, was ich all die Jahre versäumt hatte.
»Es gibt etwas, worüber ich mit niemandem reden kann«, sagte ich. »Auch nicht mit Kate. Normalerweise natürlich schon, aber nicht jetzt, weil sie ja auch betroffen ist. Aber weißt du, Mam« – wie lange hatte ich sie nicht mehr Mam genannt! –, »ich habe Benjamin immer sehr geliebt. Er war einfach perfekt! Ich sah ihn zum ersten Mal in Oxford in der Bar der Union Society, und alles zwischen uns stimmte. Wir hatten denselben Humor, denselben Geschmack, lasen dieselben Bücher, hatten dieselben Ziele. Ich lebe mit ihm genau so, wie ich immer leben wollte. Wir haben uns diese Traumwohnung an der Themse gekauft und renovieren sie gemeinsam, richten sie zusammen ein, arbeiten daran. Wir sind erfolgreich und gesund und können uns alles leisten, was uns gefällt. Aber seit einiger Zeit schlafe ich nicht mehr gut. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich Emerald Cottage vor mir, und ich weiß nicht, was das bedeutet. Und dann ist da
Eoin, der mich ganz durcheinanderbringt. Heißt es nicht immer, es sei ein Zeichen dafür, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt, wenn man sich für jemand anderen interessiert?« Ich machte eine Pause, als wartete ich auf ein Zeichen von ihr. Ein Nicken, ein Blinzeln, irgendetwas. Doch sie bewegte sich nicht. Ich sprach weiter. »Und Benjamin … ich weiß nicht, was los ist. Ich habe doch alles, was ich immer wollte. Habe ich mir denn jahrelang das Falsche gewünscht?« Ich zögerte einen Moment. Was brachte es, wenn ich weitersprach? Ich könnte einfach schweigen und gehen. Andererseits – wem sollte ich es sagen, wenn nicht ihr? »Mam, es ist etwas sehr Seltsames passiert. Jemand, den ich nicht kenne, hat mir vorhin ein Bild von Benjamin und einer fremden Frau geschickt. Sie wirkten sehr vertraut miteinander. Ich war natürlich außer mir, als ich es sah. Und dann wollte ich ihn anrufen. Er war nicht zu erreichen. Aber weißt du was? Ich merke gerade, dass es mir gar nicht so wichtig ist. Ich sitze hier in Irland, ich habe keine Ahnung, was mein Ehemann in London treibt, jemand schickt mir ein Foto und behauptet, er ginge fremd, und ich denke: Es ist nicht wichtig!? Ist es, weil ich ihm vertraue und mir sicher bin, dass alles nur ein Missverständnis ist, ein blöder Scherz von jemandem, der mich ärgern will? Oder steckt mehr dahinter? Ach, Mam, hier ist alles so anders. Ich kleide mich anders, ich esse anders, ich lebe anders. Was denkst du, was ist los mit mir?«
Ich legte meinen Kopf vorsichtig auf ihr Bett, ungefähr auf die Höhe ihrer Knie. Mit der rechten Hand hielt ich ihre linke. Dann schloss ich die Augen und schlief sofort ein.
Schwester Trish weckte mich nur wenige Minuten später.
»Ich habe Ihr Handy repariert. Na ja, notdürftig zusammengeklebt. « Sie zeigte auf das schwarze Tape, das die herausgebrochenen Plastikteile zusammenhielt.
»Danke, das hätten Sie doch nicht machen müssen. Es war schließlich meine Schuld, ich habe es fallen lassen.«
»Aber ich habe Sie so furchtbar erschreckt!«
»Ich besorge mir ein neues. Gar kein Problem. Es läuft sowieso über die Kanzlei.« Ich lächelte sie an. »Ich habe ihr noch mal die Briefe vorgelesen, und dann habe ich ganz viel von mir erzählt. Aber sie reagiert auf nichts.«
»Doch«, sagte Schwester Trish. »Warten Sie, bis das EEG ausgewertet ist. Aber es steht jetzt schon fest, dass sich in ihrem Gehirn etwas tut. Die Ärzte wissen nicht genau, warum und wieso und weshalb, aber sie bekommt ganz sicher mit, dass Sie hier sind und mit ihr reden. Also machen Sie weiter, nur so holen Sie sie zurück!«
Ich konnte kaum sprechen vor Aufregung. »Ist das wahr?«
Schwester Trish warf mir einen verschwörerischen Blick zu. »Die sind immer ein bisschen vage, diese Doktoren. Legen sich nicht gerne fest. Aber die verbringen auch nicht so viel Zeit mit den Patienten wie wir. Ich sage Ihnen mal was, und da sprechen jetzt über dreißig Jahre
Weitere Kostenlose Bücher