Liz Balfour
Berufserfahrung, Kindchen: Ihre Mutter ist unterwegs zu Ihnen. Sie kommt bald wieder. Ach, übrigens hat Ihr Mann angerufen. Deshalb bin ich gekommen. Er sagte, Sie wollten ihn dringend sprechen. Sie gehen aber hübsch raus zum Telefonieren, ja? Kranker Fuß hin oder her.«
»Aber kann ich sie denn jetzt alleine lassen?«, fragte ich unsicher. Ich hielt immer noch Deirdres Hand.
»Ich fände es ehrlich gesagt am besten, wenn Sie nach Hause fahren, um eine Runde zu schlafen.«
»Sie haben doch gerade gesagt, ich soll weitermachen, mit ihr reden, sie…«
»Aber nicht heute Nacht! Auch Komapatienten brauchen ein bisschen Ruhe. Genau wie Angehörige von Komapatienten.« Als sie meinen zweifelnden Gesichtsausdruck sah, fügte sie hinzu: »Ich bin ja da. Vergessen Sie nicht Ihre Krücken!« Sie deutete auf den Türrahmen, wo sie sie angelehnt hatte.
»Sie sind mit Leib und Seele Krankenschwester, was?«
»Immer im Dienst.«
Wenigstens wusste ich, dass meine Mutter hier gut aufgehoben war.
Es dauerte einige Minuten, bis ich das Krankenhausgebäude verlassen hatte. Ich setzte mich auf die niedrige Mauer, die den Parkplatz abtrennte, atmete tief die warme Abendluft ein und rief meinen Mann an.
»Ist was mit Deirdre?«, fragte er, bevor ich Hallo sagen konnte.
»Sie hat sich bewegt«, sagte ich.
»Das ist toll! Vielleicht wacht sie sogar bald auf. Soll ich kommen?«
Sprach so ein Ehemann, der gerade seine Frau betrogen hatte?
»Wo warst du denn? Ich habe tausendmal versucht, dich anzurufen.«
»Ja, habe ich gesehen«, murmelte er. »Ich habe das Handy im Wagen liegen gelassen.«
So sprach ein Ehemann, der gerade seine Frau betrogen
hatte. Mein Magen zog sich zusammen. »Aha, jetzt weiß ich, wo dein Handy war. Und wo warst du?«, bohrte ich nach.
»Im Landmark. Heute rief Sandra Barnes an, sie war gerade in der Stadt und fragte, ob wir Zeit hätten. Sie hat sehr bedauert, dass du nicht da warst.«
Sandra Barnes, eine ehemalige Kollegin von Benjamin aus seinen Anfangstagen. Sie lebte mittlerweile in Glasgow. Ich hatte sie vor ein paar Jahren auf einer Party in Edinburgh kurz kennengelernt, wir waren uns sympathisch gewesen, hatten aber keinen Kontakt gehalten. Ich wusste nur, dass Benjamin und sie sporadisch Mails austauschten. Sandra hatte lange blonde Haare, es konnte also stimmen.
»Jemand hat mir ein Foto von euch beiden geschickt.«
»Wirklich? Wer denn? Ich habe gar niemanden gesehen, den ich kenne. Und warum sollte dir jemand ein Foto von mir schicken? Versteh ich nicht.«
Klang so ein Mann, der fremdging? Wenn er ein gewiefter, erfahrener Anwalt war, dann vielleicht. »Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, wer es war. Ich kannte die Nummer nicht, und es meldete sich niemand, als ich dort anrief.«
»Merkwürdig.«
»Muss ich mir Sorgen machen?«
Er zögerte. »Wegen mir? Oder weil dir fremde Menschen unbedeutende Fotos schicken?«
Betonte er nicht zu sehr, wie unbedeutend die Situation nur gewesen sein konnte? Obwohl er das Foto nicht kannte? Wollte er herausfinden, wie diskriminierend der Schnappschuss wirklich war? Und dieses Zögern, hatte es
etwas zu bedeuten, oder hatte er nur gestutzt, weil er meine Frage so absurd fand? Ich schloss die Augen. »Einfach so. Muss ich mir Sorgen machen?«
»Nein. Jedenfalls um nichts, was hier in London geschieht. Konzentriere dich ganz auf deine Mutter. Sie braucht dich jetzt.«
»Ja. Du hast recht. Und was verpasse ich sonst noch?«
»Es ist wirklich alles in Ordnung. Ich habe hier alles im Griff, die Dinge laufen gut.«
Es war seine Gelegenheit, mir von Kates Mail zu erzählen. Zu fragen, ob ich dahintersteckte. Aber er erwähnte nichts davon. Es brannte mir auf den Nägeln, ihn darauf anzusprechen. Ich tat es nicht. Ich wusste, wir würden nur wieder streiten. Besser, ich ließ es für den Moment ruhen.
»Wenn alles gut läuft, ist es ja nicht schlimm, dass ich so lange weg bin«, sagte ich.
Er lachte. »Da liegst du falsch! Ich freue mich, wenn ich dich endlich wieder jeden Tag um mich habe. Du fehlst mir.«
Und ich fragte mich: Fehlt er mir auch? Nachdem wir uns verabschiedet hatten, blieb ich noch lange auf der kleinen Mauer sitzen und dachte darüber nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ich sah hinüber zu den ruhigen Einfamilienhäusern, in denen sich um diese Uhrzeit nichts mehr rührte – es war gerade dunkel geworden. Die Häuser ähnelten sich nicht nur in der Bauweise, sondern auch in Farbe und Gartengestaltung. Sogar die Autos,
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