Lizenz zum Kuessen
Schubladen herum. »Die Geschichte hast du auch nicht zu Ende erzählt.«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«, fragte Nikki und staunte, woran Ellen sich so alles erinnerte.
»Seit ich auf meine tägliche Dosis Seifenoper verzichten muss, muss ich die Lücke anders füllen, und ihr seid dazu bestens geeignet«, meinte Ellen. »Außerdem wollte mir diese Sache nicht mehr aus dem Kopf - der Typ klang ziemlich unseriös. Und jetzt bin ich natürlich gespannt, wie es weitergegangen ist.«
»Stimmt, der war komisch.« Jenny lachte. »Aber die Geschichte von der Verhaftung will ich trotzdem zuerst hören.«
»Also, was war mit diesem Typen?«, beharrte Ellen.
»Das habe ich doch schon erzählt: Wir waren zum Lunch. Und er hat auch gar nichts mit dieser anderen Sache zu tun.« Oder doch? In ihrer Erinnerung hingen Kanada und Carrie Mae irgendwie zusammen, weshalb es ihr auch schwerfiel zu sagen, ob das eine wirklich nichts mit dem anderen zu tun hatte.
»Eben«, sagte Jenny. »Und weil Verhaftung definitiv spannender ist als Lunch, will ich die Geschichte von der Verhaftung zuerst hören. Die Kanada-Geschichte kannst du danach erzählen.«
»Ich dachte, ich hätte hier noch ein paar Girl-Scout-Cookies«, murmelte Ellen vor sich hin und kramte noch immer herum. »Also gut, dann eben die Knast-Story. Ha!« Triumphierend zog sie eine Keksschachtel hervor und hielt den beiden das offene Ende hin. Nikki nahm sich einen Cookie und überlegte, wo genau die Geschichte eigentlich angefangen hatte.
Kanada (na ja, fast - Washington)
Die Lippenstift-Attacke
Nikki betrachtete ihre Hände. Die Handschellen glänzten mit den Überresten ihres Nagellacks um die Wette. Mit Bedauern sah sie, dass drei Fingernägel abgebrochen waren - nun würde sie die anderen auch kürzen müssen. Als sie aufschaute, sah sie sich selbst im Spiegel - vermutlich ein Spionspiegel. Ihre Haare waren ein einziges Durcheinander. Gras hing darin, und ein dünner Zweig ragte heraus. Vorsichtig hob sie die linke Hand und zog sich den Zweig und einige Grashalme aus dem Haar. Dank der Handschellen folgte die rechte Hand unfreiwillig der Bewegung der linken und hing nun etwas unkoordiniert vor ihrem Gesicht. Ordentlich legte sie Grashalme und den Zweig vor sich auf den Tisch. Dann versuchte sie, ihr wirres Haar zu bändigen, gab aber bald auf und seufzte resigniert. Mit einem weiteren Seufzer versenkte sie sich in die Betrachtung eines Grashalms. Er war grasgrün, mit einer hellgrünen, feinen Ader in der Mitte. Als der Detective zurückkam, setzte sie sich auf.
»So, Miss Lanier«, sagte er und sprach es Län -i-är aus.
»Lanier«, verbesserte sie automatisch und bedauerte es sofort.
»Was?«
»Lan-jee«, sagte sie entschuldigend. »Es heißt Lan- jee .«
»Was es nicht alles gibt«, erwiderte er. Nikki versuchte zu lächeln, scheiterte jedoch kläglich. »Ich nehme nicht an, dass
Sie mir erklären können, wie es zu diesem kleinen Zwischenfall kam?« Er blätterte in seinen Unterlagen. »Plötzlicher Anflug von geistiger Umnachtung?«, schlug Nikki vor und wagte nochmal ein halbherziges Lächeln.
»Klingt durchaus plausibel«, meinte der Detective mit Blick auf ihr zerzaustes Äußeres. »Woraus ich schließe, dass Sie das Haus nicht mit dem Vorsatz betreten haben, jemanden anzugreifen?«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Nikki zögernd. »Ich glaube … Plötzlich ist bei mir einfach die Sicherung durchgebrannt.«
Das Haus war ein Monstrum aus rotem Backstein und weißem Stuck gewesen. Vier funktional nutzlose pseudogriechische Säulen schmückten die Veranda und ließen die halbkreisförmige Auffahrt, die fast den gesamten Vorgarten einnahm, noch imposanter wirken. Nikki war das Herz in die Hose gerutscht, als sie das Haus gesehen hatte, aber Toni, eine Freundin ihrer Mutter, hatte geschwärmt: »Ist das nicht entzückend?« Toni fand viele Sachen entzückend. Sie verkaufte Kerzen und Krimskrams, den Nikki nicht mal in der Abstellkammer aufbewahren würde. Seufzend hatte sie zugestimmt und das Haus auch entzückend gefunden. Toni wollte ja nur nett sein. Und sie tat Nikki - oder vielmehr Nikkis Mutter - einen Gefallen, indem sie sie mitnahm.
»Nicht vergessen, Nikki: Lass sie alles ausprobieren, stimme allem zu, was sie sagen, und du wirst Unmengen verkaufen. Diese Frauen mögen den persönlichen Touch.«
»Ich war mit Toni Carrie-Mae-Kosmetik verkaufen.« Die Worte gingen ihr nicht leicht über die Lippen. »Meine Mutter hatte ein Starterkit
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