Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
den Stadtteil gedonnert, um mit ihrem Krach das Geräusch des sich nähernden Helikopters zu übertönen. Mit Yassin starben seine zwei Leibwächter und neun Palästinenser, die sich zufällig in der Nähe aufgehalten hatten; zwölf Personen wurden verletzt, darunter auch Yassins Sohn. Der Scheich war all die Jahre eher ein leichtes Ziel gewesen, denn er besuchte jeden Morgen dieselbe Moschee im Distrikt Sabra von Gaza-City. Er muss von dem Risiko, das diese Routine bedeutete, gewusst haben. War es die Schmach, ihn im Haus von Abu Ras verfehlt zu haben, die Geheimdienstchef Avi Dichter und Generalstabschef Moshe Yaalon jetzt veranlasst hatte, die offene Rechnung zu begleichen?
Symbolgestalt: Der spirituelle Führer der Hamas Scheich Ahmad Jassin stand nach seiner erzwungenen Freilassung 1997 ganz oben auf der israelischen Todesliste.
Der Mord löste weltweite Proteste aus. Dazu trugen auch Fotos des Rollstuhl-Torsos bei, die über alle Agenturen liefen. Wie konnte Israel einen gebrechlichen, alten Mann töten, der durch eine Querschnittlähmung an den Rollstuhl gefesselt war und schon deshalb keine aktive Rolle bei Terroranschlägen spielen konnte? UN-Generalsekretär Kofi Annan zeigte sich empört, die Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen verabschiedete mit großer Mehrheit eine Stellungnahme, in der die Exekution verurteilt wurde; im Sicherheitsrat dagegen scheiterte eine Resolution am Veto der Vereinigten Staaten, Deutschland enthielt sich der Stimme.
In Jerusalem reagierte man mit Unverständnis auf die internationale Kritik. Yassin sei »ein wahrer Pionier bei der skrupellosen Ermordung unschuldiger Zivilisten« und »persönlich verantwortlich gewesen für die Strategie massiver Selbstmordattentate«, verlautete aus dem israelischen Außenministerium. Das Blut, das an seinen Händen klebe, sei gewissermaßen noch frisch: Ein Selbstmordattentat in Erez, zwei Monate zuvor, bei dem vier Israelis ums Leben gekommen seien, habe der Scheich persönlich angeordnet. Alle Versuche, ihn als »moderaten spirituellen Führer« zu verharmlosen, seien ebenso lächerlich, wie wenn man Osama bin Laden als eine solche Figur verklären würde.
Tod nach dem Morgengebet: Im März 2004 wurde der an den Rollstuhl gefesselte, querschnittsgelähmte Scheich Yassin von einer israelischen Hellfire-Rakete getötet.
Anfang Februar 2005 machte Israel dennoch eine Reihe von Konzessionen gegenüber den Palästinensern, darunter das Ende seiner Hinrichtungspolitik. Zwischen dem israelischen Premierminister Ariel Sharon und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas wurde eine Art Waffenstillstand verabredet, das Ende der Zweiten Intifada. Gleichzeitig willigte die israelische Regierung ein, sich bis August des Jahres ganz aus dem Gaza-Streifen zurückzuziehen. Allerdings machte Sharon klar, dass die Zusage jederzeit revidiert und die Exekutionsdoktrin wieder in Kraft gesetzt werden könne, sollte es zu weiteren Selbstmordanschlägen kommen.
Der Frieden hielt nicht lange. Schon drei Wochen später,in den Abendstunden des 25. Februar 2005, sprengte sich vor dem Nachtklub »Stage« an der Promenade von Tel Aviv ein Terrorist inmitten junger Armeereservisten in die Luft, die dort den Geburtstag eines ihrer Ausbilder feiern wollten. Fünf Menschen starben, fünfzig erlitten schwere Verletzungen. Die Al-Aqsa-Brigaden übernahmen die Verantwortung. Und am 12. Juli zündete ein palästinensischer Selbstmordattentäter des Islamischen Dschihad vor der beliebten HaSharon Mall in Netanja zehn Kilogramm Sprengstoff, die er unter seiner Kleidung versteckt hatte. Der Anschlag traf eine zufällig dort stehende Mädchengruppe, von denen drei sofort tot waren; eine junge Frau starb später im Krankenhaus. Jedem in Israel war klar, dass die Hoffnung auf ein Ende der Selbstmordanschläge getrogen hatte. Die Regierung in Jerusalem wollte den Rückzug aus dem Gaza-Streifen, der bereits auf Hochtouren lief, nicht wieder abblasen. Aber sie betrachtete den Rest der Vereinbarung als gebrochen, begann erneut mit gezielten Exekutionen: Drei Tage nach dem Anschlag von Netanja schoss ein israelischer Apache-Hubschrauber in Gaza-City ein Fahrzeug ab, das Qassam-Raketen geladen hatte. Vier junge Hamas-Terroristen starben, darunter auch Assem Marwan Abu Ras, 24-jähriger Sohn jenes Religionsprofessors, der zwei Jahre zuvor als Gastgeber des spektakulären Gipfeltreffens fungierte, bei dem alle Teilnehmer den israelischen Luftangriff überlebt hatten. Zwei
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